Inuk

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Manche Filme ziehen einen vollständig in ferne Lebenswelten hinein, "Inuk", eine einfache Geschichte in großartigen Bildern, gehört zu ihnen. "Inuk" erzählt nüchtern von der Sehnsucht nach Heimat, Herkunft und Identität vor dem Hintergrund unendlicher Schnee- und Eislandschaften. Das bildgewaltige Drama um einen jungen Grönländer auf der Suche nach seinem Platz im Leben gewann mehrere Festivalpreise, unter anderem in Nashville, Savannah, Rhode Island und Woodstock.

Webseite: www.neuevisionen.de

Grönland/Frankreich 2010
Regie: Mike Magidson
Darsteller: Gaba Petersen, Ole Jorgen Hammeken, Rebekka Jorgensen, Sara Lyberth
Länge: 90 Minuten, OmU
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
Start: 7. Februar 2013

PRESSESTIMMEN:

"Die eigentliche Hauptrolle spielt die beeindruckende Landschaft aus Eis und Schnee - zum Frösteln schön."
STERN

"Wunderschön gefilmt... mit herzerwärmender Botschaft."
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Grönland ist die größte Insel unserer Welt und als Territorium von Dänemark nur innenpolitisch autonom. In unseren Nachrichten fällt sie weitestgehend auf durch das schmelzende Eisschild, durch Armut und Arbeitslosigkeit. Es soll auch das Land mit der höchsten Selbstmord- und Alkoholikerrate sein. Diese Themen kamen zuletzt mit der dänischen Serie "Gefährliche Seilschaften" ins Fernsehen. Bille Augusts Romanadaption "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" brachte schon vor 15 Jahren die riesigen Eiswüsten eindrucksvoll auf die Leinwand. Auf über zwei Millionen Quadratkilometern wohnen noch nicht einmal 60.000 Menschen, hauptsächlich an den eisfreien Küsten.

Verglichen mit den eigenwilligen Eis- und Schneelandschaften wirken die Ortschaften karg und seelenlos. Die Hauptstadt Nuuk, in der der halbwüchsige Inuk (eindrucksvoll gespielt von dem Laiendarsteller Gaba Petersen) nach dem Ertrinkungstod seines Vaters allein mit seiner Mutter lebt, enthält alle negativen Eigenschaften, die eine Stadt bieten kann: verlassene, düstere Straßen, einsame Menschen, die sich in billigen Beton-Siedlungen betrinken und frustrierte Teenager, die sich von Fastfood ernähren. Die Stimme aus dem Off verleiht dem Nachdruck: "Die Ahnen sagen, wenn der Geist in Harmonie mit der Umwelt lebt, dann passiert uns nichts. Aber die Vorfahren kannten die Stadt nicht". Hier streunt auch Inuk umher, wenn sich die Mutter daheim mit ihren Nachbarn betrinkt. Irgendwann schläft er in einem Auto am Hafen ein, die Jugendbehörde greift ihn auf und schickt ihn aufgrund der mangelnden häuslichen Fürsorge in ein Jugendheim, hoch im Norden.

Die Siedlung mit dem klangvollen Namen Ummannaq liegt 500 Kilometer nördlich des Nordpolarkreises. Inuk flüchtet sich auch hier lethargisch unter die Berieselung aus seinen Kopfhörern. Die Heimleiterin Aviaaja (Rebecca Jorgensen) schickt ihn deshalb gemeinsam mit anderen Jugendlichen und ortsansässigen Robbenfängern auf eine Jagdreise. Die beginnt schon mit der traditionellen Bekleidung aus Eisbärenfell-Hosen und Robbenfell-Jacken. Zunächst recht widerwillig nimmt sich der Jäger Ikuma (überzeugend verkörpert von Ole Jorgen Hammeken, der real als Forscher, Expeditionsleiter und Sozialarbeiter auf Grönland arbeitet) des verschlossenen Jungen an, lehrt ihn einen Hundeschlitten zu führen und aus großer Distanz zu schießen. Die zwei nähern sich vorsichtig einander an, nehmen dadurch aber auch schmerzhaft wahr, was ihnen die letzten Jahre fehlte. Für Inuk war es der Vater, für Ikuma der weggezogene Sohn. Gleichzeitig müssen sie ihre Existenz in dieser menschenleeren Landschaft sichern.

So nah und berührend war das Leben in der Polarregion noch nicht im Kino zu sehen. Auch die Klimaerwärmung wird sichtbar. Einmal müssen die Jäger aufgrund der zu dünnen Eisdecke einen umständlicheren Weg durch die Hügel nehmen. Im Schneesturm setzen sich die Männer vor ihre umgekippten Schlitten und die Huskies rollen sich mit wachsamen Blick zusammen, spiegeln die Unruhe der wortkargen Menschen. Die Kamera fängt auch die Tiere als Charaktere ein. Öfters liegen zarte Wolkenstreifen über den Eisflächen, auf denen mehrspännige Hundeschlitten entlangrasen. Die Fortbewegung durch diese phantastische Landschaft spielt eine tragende Rolle.

"Inuk" bedeutet "Mensch", es ist der Singular von "Inuit", der Bezeichnung der Eskimos für ihr Volk. In dem Film "Inuk" geht es um mehr als um eine Vater-Sohn-Beziehung, es geht um die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens generell, um die Voraussetzungen für Vertrauen und Selbstwert. Fast nebenher bietet der Film, offenbar frei von Computeranimationen, überwältigende Schneelandschaftsszenarien. Als seltener grönländischer Beitrag gehört er zu den 72 Einreichungen für den diesjährigen Auslands-Oscar.

Dorothee Tackmann

Grönland. Eis. Die Inuit sagen dass das Eis, für das sie mehr als nur eine Bezeichnung haben, eine Seele besitze. Ihr Leben lang sind sie mit diesem Naturphänomen verbunden.

Inuk verliert als Kind seinen Vater, von Beruf Eisbärjäger. Als der auf dem Hundeschlitten krank ins Hospital gefahren werden soll und unterwegs prüft, ob das Eis hält, versinkt er und kommt unter der Eisdecke in dem kalten Wasser sofort zu Tode. Inuk wächst unter schwierigen Bedingungen auf. Seine Mutter scheint überfordert zu sein – wohl auch weil ihr der mit ebenso feuchtfröhlichen Kumpanen geschluckte Alkohol ein wenig besser schmeckt als die Kinderliebe.

Der Knabe kommt im Norden des Landes in ein Kinderheim. Er ist oft traurig, lebt zurückgezogen, passt sich aber dann an. Als eine Art Therapie soll er mit den Robbenjägern auf Jagd gehen. Er wird Ikuma zugeteilt, der ebenso wie Inuk eine schwierige wenn nicht dunkle Vergangenheit mit sich herumträgt. Anfänglich ist das Verhältnis alles andere als Ideal. Können die beiden Freunde werden und sich gegenseitig zu einer helleren Zukunft verhelfen?

Der eher melancholische Film zeigt, wie die Menschen sich in dieser schwierigen jedoch von ihnen geliebten Landschaft ihrer Existenz stellen. Und noch etwas: Wie eine Freundschaft zwei Männer aus einer verkorksten Vergangenheit herauszuführen vermag.

Filmisch tun sich gewaltige felsige und schneeige Panoramen auf, immer wieder vom Wasser umspült oder durchfurcht von den mit herrlichen Tieren gezogenen Schlitten. Gespielt wird sowohl von Ole Jörgen Hammeken (Ikuma) als auch von Gaba Petersen (Inuk) sehr gut.

Und Preise gab es auch bereits: Rhode Island Film Festival – Bester Film; Nashville Film Festival – Großer Preis der Jury – Bestes Regiedebüt, Bester Debutauftritt für Gaba Petersen; Paris Polar Film Festival Jury-Preis, Bester Schauspieler Ole Jörgen Hammeken; Woodstock Film Festival – Beste Kamera; Woodstock Film Festival – Publikum 2. Preis.

Thomas Engel