Istanbul United

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Der Spruch“ Fußball ist unser Leben“ wird in der Türkei besonders ernst genommen, gerade bei den drei großen Clubs Istanbuls, deren Rivalität oft in Gewalt ausartet. Wie diese Fangruppen während der Proteste um den Taksim Platz zumindest für einen Moment gemeinsam gegen den Staat und den Premier Tayyip Erdogen kämpften zeigen Olli Waldhauer & Farid Eslam in ihrer interessanten, wenn auch etwas unfokussierten Dokumentation „Istanbul United.“

Webseite: www.port-prince.de

Deutschland/ Türkei 2014 - Dokumentation
Regie, Buch: Olli Waldhauer & Farid Eslam
Länge: 84 Minuten
Verleih: Port au Prince Pictures
Kinostart: 18. September 2014
 

FILMKRITIK:

Während die deutsche Bundesliga längst so befriedet ist, dass einst verhasste Fans von Dortmund und Schalke oder Bayern und 1860 München inzwischen meist friedlich miteinander umgehen, herrschen in den Stadien der Türkei andere Gesetze. Besonders die Fangruppen der drei großen Istanbuler Vereine Galatasaray, Besiktas und Fenerbahce – die die Liga beherrschen und die Meisterschaft fast immer untereinander ausspielen – liefern sich intensive Duelle: Auf den Rängen auf verbale Weise, wobei besonders Beleidigungen der gegnerischen Mütter beliebt sind, aber auch physische Weise. So extrem ist der Hass der Fangruppen, dass sie sich bisweilen brutale Straßenschlachten liefern, gegnerischen Fans auflauern und eine Spur der Verwüstung durch die Metropole am Bosporus schlagen. In der Mythologie der Fans werden diese Kämpfe zu „Tribünen Schlachten“ verklärt, die manchmal gar zu Toten führen.

Dass die Fangruppen der drei Rivalen einmal zusammen gegen einen gemeinsamen Gegner auf die Straße ziehen würden hätte niemand sich erträumen lassen, doch genau dazu kam es im Frühjahr 2013. Im Zuge der landesweiten Proteste gegen die autoritären Maßnahmen von Premierminister Tayyip Erdogan, der erst den beliebten Taksim Platz umbauen lassen wollte und schließlich reihenweise Bäume im Gezi-Park fällen ließ, zogen Millionen Türken auf die Straße und lieferten sich zunehmend ausartende Straßenschlachten mit der Polizei.

Mitten in diese Proteste kamen die beiden Filmemacher Olli Waldhauer und Farid Eslam in Istanbul an und stürzten sich mit kaum verhohlener Begeisterung in Demonstrationen und Schlachten. So faszinierend und hautnah ihre dabei gedrehten Bilder auch sind, das Maß an Voyeurismus, denn die Regisseure dabei an den Tag legen ist grenzwertig. Unverhohlen halten sie mit der Kamera auf Opfer von Tränengas, filmen offensichtlich leidende Demonstranten und scheuen selbst nicht davor zurück, eine Frau mit Verbrennungen an den Armen für ihre Zwecke zu benutzen.

Dass sie dabei jeglichen Kontext ignorieren, in keiner Weise auf die Ursachen der Proteste eingehen wird, lässt „Istanbul United“ etwas willkürlich wirken und verrät, wie zufällig das eigentliche Thema den Regisseuren vor die Füße fiel: Bilder der drei Fangruppen, die gemeinsam protestierten. Wie es dazu kam bleibt dann allerdings wie viele andere Fragen offen.

In Interviews mit Ultra-Fans der jeweiligen Vereine wird die Rivalität herausgearbeitet, aber auch das alltägliche Leben dreier Fans, die für den Fußball leben. Das sind die stärksten Momente im Film, Aufnahmen auf dem Weg zum Stadion, hunderte Fans, die in Gesängen gegen die Rivalen oder die Polizei vereint sind und im Stadion eine einzige tobende Masse an Körpern sind. Viel von der Faszination des Fußballs kommt hier rüber, aber auch von der ganz besonderen Verbindung, die viele Menschen in der Türkei zu ihren Vereinen haben.

Inwieweit der Fußball Tendenzen in der Gesellschaft spiegelt bleibt dagegen offen: Parallelen zwischen den Gesängen im Stadion und den Protestgesängen auf dem Taksim-Platz deuten Bezüge an, die aber ins Leere laufen. Wie so vieles in einer Dokumentation, die ihre spannenden Aspekte in ein dramaturgisches Konstrukt einbettet, dass mit heißer Nadel gestrickt wirkt. Als Blick in die Welt der türkischen Fußballfans ist „Istanbul United“ absolut gelungen, als Analyse der politischen, gesellschaftlichen Entwicklungen der Türkei dagegen weniger.
 
Michael Meyns