It Lives Inside

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Schaurige Kreaturen und unheimliche Legenden gibt es in jedem Land, jeder Kultur. Im US-Horrorkino spiegelt sich die Vielfalt allerdings nicht wirklich wieder, obwohl die Vereinigten Staaten die Einwanderungsnation schlechthin sind. Mit seinem Langfilmdebüt „It Lives Inside“ schickt sich Jungregisseur Bishal Dutta an, daran etwas zu ändern, und lässt indische Traditionen auf amerikanische Befindlichkeiten treffen. Herausgekommen ist ein grundsolides Schauerstück, dessen Plot keine großen Innovationen bietet, das wegen seiner kulturellen und mythologischen Verortung aber auch nicht wie austauschbare Stangenware wirkt.

Webseite: https://www.alamodefilm.de/kino/detail/it-lives-inside.html

Regie: Bishal Dutta
Drehbuch: Bishal Dutta
Darsteller: Megan Suri, Neeru Bajwa, Mohana Krishnan, Gage Marsh, Vik Sahay, Betty Gabriel, Jenaya Ross, Beatrice Kitsos u. a.

Länge: 99 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: Alamode Film
Kinostart: 02.11.2023

FILMKRITIK:

Samidha (Megan Suri), kurz Sam genannt, stammt aus einer eher konservativen indischen Familie und hat es satt, sich länger einengen zu lassen. Die Teenagerin will dazugehören, die gleichen Freiheiten genießen wie ihre Altersgenossen in der Highschool und pfeift zunehmend auf die Bräuche ihrer Eltern. Während Vater Inesh (Vik Sahay) noch halbwegs milde auf die Protesthaltung seiner Tochter blickt, beklagt sich Mutter Poorna (Neeru Bajwa) immer wieder über ihren fehlenden Respekt vor ihrer Herkunft. Schlimm genug, dass sie nicht einmal mehr ihre Ursprungssprache sprechen wolle.

Sams Wunsch, sich anzupassen, nicht aus dem Rahmen zu fallen, zeigt sich auch in ihrer Reaktion auf einen Hilferuf ihrer früheren, ebenfalls indischstämmigen Freundin Tamira (Mohana Krishnan), die der Regisseur vielleicht eine Spur zu aufdringlich als unheimlich und labil inszeniert. In einem Einmachglas, das die dunkel gekleidete Jugendliche ständig mit sich herumträgt, stecke ein gefährlicher Dämon, der es auf sie abgesehen habe. Sams anfängliches Mitgefühl schlägt in Verärgerung um, als sie glaubt, von ihrer Klassenkameradin bloßgestellt zu werden. Bei der Diskussion zerbricht das Gefäß, und nur wenig später ist Tamira verschwunden. Was das Publikum, nicht aber Sam, schnell erkennt: Die Vermisste befindet sich in einer höllenartigen Zwischenwelt tatsächlich in der Gewalt eines nach Fleisch dürstenden Monsters. Von Schuldgefühlen geplagt, macht sich Sam kurz darauf auf die Suche nach Hinweisen und wird dabei unterstützt von ihrem Schwarm Russ (Gage Marsh).

Bishal Dutta, der auch das von eigenen Erfahrungen geprägte Drehbuch schrieb, verbindet klassische Coming-of-Age-Elemente mit Fragen nach der kulturellen Identität. Sam steht vor ihrer ersten Beziehung, muss entscheiden, ob ihr die einstige Freundschaft zu Tamira noch etwas bedeutet, und hadert parallel mit ihren Wurzeln, die sie zu Beginn nicht nur von sich weist, sondern am liebsten gleich ganz kappen würde. Nicht von ungefähr ist sie dabei zu sehen, wie sie ihre dunklen Härchen an den Armen wegrasiert. Vor diesem Hintergrund braucht es keine übermäßig große Filmerfahrung, um zu erahnen, dass sie im weiteren Verlauf wieder ein wenig zu den Ursprüngen ihrer Familie zurückkehren muss, will sie dem entfesselten Dämon die Stirn bieten.

Durch die Auseinandersetzungen mit ihrer traditionsbewussten Mutter und die indischen Gepflogenheiten, die Dutta mehrfach in den Fokus rückt, bekommt „It Lives Inside“, anders als viele Monster-machen-Jagd-auf-Teenager-Schocker, eine individuelle Note. Rückblickend hätte der junge Filmemacher den Konflikt zwischen Sam und Poorna aber noch etwas feiner nachzeichnen können. Ähnlich sieht es auch bei dem übernatürlichen Wesen namens Pishach aus, das Tamira gefangen hält und der Hauptfigur immer weiter zusetzt. Einerseits gibt das Geschöpf dem Horrorstreifen einen frischen Anstrich. Andererseits erfahren wir unter dem Strich zu wenig über die mythologische Bedeutung der Kreatur, die sich, so erfahren wir an einer Stelle, von negativen Gefühlen wie Hass, Wut und Einsamkeit ernährt.

Die Genremechanismen bedient Bishal Dutta recht kompetent. Richtig packende Ideen, den Schrecken zu arrangieren, haben jedoch Seltenheitswert. In Erinnerung bleibt vor allem eine Szene, in der eine Schaukel – ein im Horrorfilm gerne genommenes Utensil – ungeahntes Eigenleben entwickelt. Viel gruseliger als der in der zweiten Hälfte komplett ins Bild tretende Dämon ist allemal die häufig mit Schmatz- und Röchellauten arbeitende Tonspur. Worüber man am Ende treffend diskutieren kann, ist Sams Charakterbogen und die Frage, wie „It Lives Inside“ mit ihren Emanzipationsbestrebungen umgeht.

 

Christopher Diekhaus