Ein Junge und seine bedingungslose Liebe zu seiner Mutter. Das ist das Konzentrat dieser Geschichte. Aber diese Liebe wird auf eine harte Probe gestellt, denn Jacks Mutter ist fast nie für ihn da. Ein Sozialdrama, dass der schmutzigen Realität direkt ins Gesicht sieht – Edward Bergers steht in der Tradition von Ken Loach. Das Projekt entstand mit minimalem Budget, kleinem Team und sehr viel Eigeninitiative. Zur Belohnung wurde der Film 2014 in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen.
Webseite: www.jack-film.de
Deutschland 2013/2014
Regie: Edward Berger
Buch: Edward Berger, Nele Mueller-Stöfen
Darsteller: Ivo Pietzcker, Luise Heyer, Georg Harms, Vincent Redetzki, Jacob Matschenz
Kamera: Jens Harant
Lauflänge: 98 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Kinostart: 9. Oktober 2014
FILMKRITIK:
Jack (Ivo Pietzcker) ist erst zehn Jahre alt. Trotzdem schmeißt er den Haushalt fast allein: Weckt seinen kleinen Bruder Manuel (Georg Arms), wenn der beinahe die Schule verschläft, macht ihm sein Pausenbrot, kauft ein, putzt und wäscht. Seine junge Mutter Sanna (Luise Heyer) ist nie für ihn da. Sie liebt ihre Jungs zwar, aber sie ist mit sich selbst beschäftigt, geht auf Partys, schleppt Liebhaber mit nach Hause. Eines Tages passiert es: Beim Waschen verbrüht sich Manuel, muss zum Arzt – und der stellt Fragen. Jack landet im Heim. Und wünscht sich trotz allem nichts sehnlicher, als endlich wieder nach Hause zu kommen. Als Sanna ihn nicht wie versprochen zum Ferienbeginn abholt, ist Jack außer sich. Er schlägt einen Mitschüler nieder und haut ab. Aber auch zuhause ist Sanna nicht. Jack und Manuel irren durch die Stadt, immer auf der Suche nach ihr.
Eine einfache, klare Geschichte habe er erzählen wollen, sagt Edward Berger. Das Drehbuch sollte kein Gramm Fett zuviel haben. Man darf also interpretieren, Berger, der selbst Vater ist, wollte der Realität vieler vernachlässigter Kinder nachspüren. Er und seine Co-Autorin Nele Mueller-Stöfen entschieden sich für eine Bildsprache, die ihrem Ansatz entsprechen sollte. Handkamera, wenig künstliches Licht, möglichst wenige Schnitte und dafür lange Plansequenzen. Meist befindet sich die Kamera auf Augenhöhe des kleinen Jack.
Über weite Strecken geht Bergers und Mueller-Stöfens Konzept auf. Das Geschehen hat eine Unmittelbarkeit, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Das liegt nur zum Teil an Drehbuch und Bildsprache – vor allem trägt Ivo Pietzcker diesen Film allein auf seinen schmalen Schultern. Er ist in fast jeder Einstellung zu sehen und muss eine große emotionale Bandbreite transportieren. Das gelingt ihm mit großer Intensität. Ivo Pietzcker gibt Jack ein Gesicht.
In der zweiten Hälfte steigert sich die Intensität des Films noch, wenn die beiden Jungen verlassen durch Berlin irren. Hier geben die trostlosen Drehorte der Geschichte noch eine zusätzliche deprimierende Note. Die Großstadt mit ihren Fußgängerzonen, Autovermietungen und Parkhäusern wird zur harten, unnahbaren Welt, durch die die Kinder irren – immer auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Ärgerlich ist aber, das einige wenige Szenen nicht den richtigen Ton treffen und an der angestrebten Authentizität vorbeigehen. Das betrifft vor allem eine Szene, in der die Kinder durch eine Party-Szene marschieren, die völlig überinszeniert ist. Zuweilen zeichnet Berger allzu gewollt eine Gesellschaft, in der jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist. Das geht zu Lasten der zu eindimensional gezeichneten Figuren der Erwachsenen. Umso näher geht dem Zuschauer dafür das Porträt der Kinder, die der Film für ihre unbedingte, unverstellte Liebesfähigkeit feiert.
Oliver Kaever