Jerichow

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Nach „Yella“ siedelt Christian Petzold auch seinen neuen Film in der ostdeutschen Provinz an. Im titelgebenden Dorf Jerichow kreuzen sich die Wege dreier Menschen, die verbunden sind in ihrer Suche nach einer Basis im Leben, nach Erfolg und Glück. Nicht zuletzt auf Grund der Besetzung mit seinem Lieblingsschauspielern Nina Hoss und Benno Fürmann wirkt „Jerichow“ wie eine Variante im Ouevre Petzolds, die diesmal allerdings weit weniger ausgefeilt ist als man es von ihm gewohnt ist.

Webseite: www.pifflmedien.de

Deutschland 2008
Regie und Buch: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
Schnitt: Bettina Böhler
Musik: Stefan Will
Darsteller: Nina Hoss, Benno Fürmann, Hilmi Sözer, André Hennicke, Claudia Geisler, Marie Gruber, Knut Berger
Länge: 106 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 8. Januar 2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Bei den Dreharbeiten zu „Yella“ stieß Christian Petzold auf eine Zeitungsnotiz, die von einem Vietnamesen berichtete, der sich irgendwo in Ostdeutschland eine Kette von Snack-Bars aufgebaut hatte. Daraus wurde der Türke Ali (Hilmi Sözer), der im Nordosten Deutschlands 45 Imbissbuden betreibt. Täglich fährt er die Route ab, kassiert die Einnahmen und bringt Vorräte mit. Ali lebt das klassische Glück, zumindest auf dem Papier. Ein schmuckes Haus und eine attraktive Frau gehören ihm, im wahrsten Sinne des Wortes -und hier beginnt das äußerliche Ideal zu bröckeln. Seine Frau Laura (Nina Hoss) hat ihn nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil Ali ihre Schulden übernommen hat. Ein Ehevertrag bindet sie nun an Ali, nötigt sie, seine Eifersucht und allzu oft in Schläge ausartende Jähzornigkeit zu ertragen. Da tritt Thomas (Benno Fürmann) in ihr Leben, ein unehrenhaft entlassener Bundeswehrsoldat, geschäftlich offenbar ein Versager, wie eine starke Anfangssequenz zeigt, in der André Hennicke einen kurzen Auftritt hat. Durch etwas forcierte Umstände (die schon eine bei Petzold ungewohnte dramaturgische Schwäche verraten) wird Thomas zu Alis Fahrer und bald auch zu Lauras Geliebtem.

Es entwickelt sich eine nachgerade klassische Amour Fou, in der Petzold Genremotive andeutet, die aber nie ausgeführt, sondern stets unterlaufen werden. Bisweilen hat es den Anschein, als würde sich „Jerichow“ zu einem Melodram entwickeln, dann wieder deuten sich eine Entwicklung wie im Film Noir an, wobei besonders der Plot des Klassikers „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ angedeutet wird. Mord aus Berechnung, aus Gewinnsucht oder Leidenschaft scheint Thomas und Lauras einziger Ausweg zu sein. 

Andeutungsweise agiert Nina Hoss’ Laura hier wie eine Femme Fatale, die sich einen schwachen, passiven Mann zu Nutze macht. Doch wie alle Personen in dieser Dreieckskonstellation ist auch Laura voller Widersprüche. Manchmal scheint sie für ihren persönlichen Profit keine Skrupel zu kennen, dann wieder sucht sie Nähe, verzeiht Ali seine Eifersucht, braucht Thomas einfach nur als Freund. Ali wiederum ist auf seine Weise die konsequenteste, ehrlichste Figur in diesem Film, doch um den Preis des ständigen Misstrauens in seine Umwelt, seine Angestellten, seine Frau. 

Es sind unterschiedliche Phänotypen eines kapitalistischen Systems, die Petzold hier zeigt, drei Menschen, die auf die ihnen eigene Art versuchen, zum wie auch immer definierten Erfolg zu gelangen und dieses Streben mit sehr unterschiedlichen Konsequenzen bezahlen.
Schon in „Yella“ deutete sich diese Entwicklung in Petzolds Werk an, doch im Gegensatz zu jener herausragenden Geistergeschichte wirkt „Jerichow“ wie ein Schnellschuss. Stilistisch ist kaum etwas von jenem Gestaltungswillen zu spüren, der Petzold bislang ausgezeichnet hat. Vor allem die Tonspur, sonst so herausragend genutztes Stilmittel, bleibt flach und uninspiriert. Die Schauspieler mühen sich trotz schwacher Struktur und Dialogen um Niveau, was auch meistens gelingt. Besonders Hilmi Sözer überrascht mit einer vielschichtigen Darstellung, die von jener Qualität ist, die man sich für den ganzen Film gewünscht hätte.
 

Michael Meyns

Nordosten. Nicht gerade eine der reichsten Gegenden Deutschlands. Thomas, aus der Bundeswehr unehrenhaft entlassen, kommt nach Hause. Gerade ist seine Mutter gestorben. Er ist allein und einsam. Wenigstens will er das Haus, in dem die Mutter lebte, renovieren.

Er lernt Ali kennen. Der hat sich eine Existenz aufgebaut. Er beliefert sage und schreibe 45 Döner-Kiosks. Die Geschäfte gehen nicht schlecht. Ali ist mit Laura verheiratet.

Thomas findet Arbeit bei Ali. Er stellt Sendungen zusammen, liefert sie aus, legt die Abrechnungen vor. Rasch findet er Alis Vertrauen. Ja sogar so etwas wie Freundschaft bahnt sich an.

Laura passt nicht zu Ali. Sie kam aus dem Gefängnis, hatte Schulden. Ali erlöste sie. Deshalb heiratete sie ihn. Der Inhalt des Ehevertrages war wie eine Erpressung.

Es kommt, was kommen musste. Thomas und Laura kommen sich mit Zutun Alis, aber ohne dessen Absicht näher. Ein Versteckspiel folgt.

Ali erfährt, dass er nicht mehr lang zu leben hat. Also wäre der Weg für Laura und Thomas auf die natürlichste Weise frei geworden.

Doch es kommt vorher zur Tragödie.

Christian Petzold, der Autor und Regisseur, bringt unterschwellig Themen wie Niedergang einer Region, Neuaufbau der Heimat, aber auch Geld und Kapitalismus in seinen Film ein. Im Vordergrund steht natürlich das Kammer-, Beziehungs-, Liebes- und Tragödienspiel von Thomas, Laura und Ali. Wie Nina Hoss (Laura), Benno Fürmann (Thomas) und Hilmi Sözer (Ali) das absolvieren ist schon meisterlich. Dazu kommen das passende Umfeld und eine beachtliche filmische Umsetzung.

Das Ganze ist menschlich und künstlerisch interessant.

Thomas Engel