Juliet Naked

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Wie kaum ein anderer Schauspieler prägte Ethan Hawke eine Generation von Kinofans, mit Filmen wie „Der Club der toten Dichter“, der „Before Sunrise“-Trilogie und „Boyhood“. Vom sensiblen Schüler mit Zivilcourage und Slacker-Antihelden zum verzweifelten Priester reicht die Spannbreite des vielseitigen 47jährigen. Als gescheiterter Rocksänger zeigt er in der wunderbar romantischen und humorvollen Tragikomödie über einen besessenen Popfan, den Erfolgsautor Nick Hornby als literarische Figur schuf, ungeahnte Talente. An seiner Seite brilliert die Australierin Rose Byrne, bekannt aus Komödien wie „Brautalarm“ oder „Bad Neighbors“. Und so besticht die gelungene Leinwandadaption nicht nur durch die Tiefe und den Witz ihrer Dialoge, sondern bietet auch qualitativ hochwertiges Schauspielerkino.

Webseite: www.juliet-naked.de

USA 2018
Regie: Jesse Peretz
Darsteller: Ethan Hawke, Rose Byrne, Chris O’Dowd, Lily Brazier, Ayoola Smart, Azhy Robertson, Denise Gough, Elaanor Matsuura, Thomas Gray, Phil Davies, Liliy Newmark, Nina Sosanya
Länge: 105 Minuten
Verleih: Prokino
Kinostart: 15. November 2018

FILMKRITIK:

Das kleine britische Seebad Sandcliff. Dort lebt die bodenständige Annie Platt (Rose Byrne) seit Jahren unfreiwillig in einer Dreiecksbeziehung: Sie, ihr langjähriger Freund Duncan (Chris O’Dowd), und last but not least der mysteriöse Folk-Rocker Tucker Crowe (Ethan Hawke). Ihm huldigt Filmprofessor Duncan wie besessen und ist seinem Idol regelrecht verfallen. Und das obwohl nicht einmal feststeht, ob der Musiker, der vor 25 Jahren das melancholische Album „Juliet“ veröffentlichte, überhaupt existiert. Nach einem Auftritt während der Konzerttour zu diesem Album verschwand er auf einmal und ward nie mehr gesehen.
 
Im Internet freilich kursieren die wildesten Gerüchte über ihn. Und Duncan wird nicht müde alles auf seiner Fanseite aufzugreifen. Seine Tucker-Crowe-Sammlung füllt ein ganzes Zimmer im Souterrain. Als jedoch eines Tages ein an in adressiertes Demoband von Tucker Crowe in der Post, auftaucht, spitzt sich die Situation zu. Unter dem Titel „Juliet, Naked“ enthält es die Songs des Albums rein akustisch aufgenommen. Duncan kann sein Glück kaum fassen. Aber Annie platzt endgültig der Kragen. „Juliet Naked ist ein verzweifelter Versuch eine tote Karriere weiter auszuschlachten“, postet sie auf seinem Forum, nachdem sie den Umschlag heimlich öffnete.
 
Duncan ist außer sich. „Das warst du“, ereifert er sich. Der saftige Verriss bleibt nicht ohne Folgen. „Du hast ins Schwarze getroffen. Ich hätte es nicht besser sagen können“, antwortet ihr plötzlich Tucker Crowe höchstpersönlich aus den USA. Eine Internetfreundschaft beginnt, die schon bald Annies Leben durcheinander wirbelt. Denn der gescheiterte Rockstar kommt nach London, um seine Tochter Lizzy (Ayoola Smart) und ihr Neugeborenes zu besuchen und will sich mit ihr treffen. Und ihr ehemaliger Lebensgefährte ist inzwischen mit seiner Kollegin Gina (Denise Gough) liiert, die seine Obsession angeblich besser versteht.
 
Freilich ist auch Tucker nicht gerade der ideale Partner. Seit Jahren lebt er in der Garage seiner Ex, um zumindest seinem Sohn Jackson (Azhy Robertson) ein Vater zu sein. Denn seine übrigen Kinder von verschiedenen Frauen haben ihn kaum zu Gesicht bekommen. Verantwortung zu übernehmen war nicht sein Ding. Wie Annie steht aber auch er nun an einem Wendepunkt. Und so ist am Ende die wunderbar romantische Tragikomödie eine positive Entwicklungsgeschichte. Vor allem für die ambitionierte Annie.
 
Zum Schluss befreit sie sich von alten Ängsten und ordnet ihr Leben neu, um nicht zwischen zwei Männern, die nicht erwachsen werden wollten, unter die Räder zu kommen. Rose Byrne spielt diese pflichtbewusste Tochter, die in der Provinz hängengeblieben ist, mit Hingabe. Die sympathische australische Schauspielerin glänzte bereits in Komödien wie „Brautalarm“ oder „Bad Neighbors“. Und wenn Ethan Hawke die Rockballade „Waterloo Sunset“ der Kinks anstimmt, versteht man warum der vielseitige Charakterdarsteller sich weigerte der typisch romantische Held in üblichen Hollywood-Produktionen zu werden.
 
Denn realitätsbezogene, psychologisch fundierte Rollengestaltung war dem Liebhaber des Autorenkinos immer wichtiger. Außerdem ging für den charismatischen 47jährigen als großer Nick-Hornby-Fan ein Wunsch in Erfüllung. Bereits in der Verfilmung „About a Boy“ wollte er unbedingt dabei sein. Und so ist es kein Wunder, dass er nun mutig den gescheiterten Rockstar, trotz aller Blessuren, lässig und liebenswert auf die Leinwand bringt. „Ich war Sohn, bin jetzt selbst Vater und warte schon ganz gespannt darauf, was wird, wenn ich Großvater werde“, gesteht er. Das konnte der Vater einer Patchwork-Familie nun schon mal üben. Trotz kultureller Unterschiede gelingt es zudem Regisseur Jesse Peretz bei der Leinwandadaption des Pop-Romans eine Portion britisch-trockenen Humor des Nick Hornby Bestsellers zu bewahren.
 
Luitgard Koch