Kinder von Paris, Die

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Nun haben auch die Franzosen ihren Holocaust-Film, und einen erfolgreichen dazu. Rund drei Millionen Zuschauer sahen im vergangenen Jahr „La rafle“ („Die Razzia“), ein groß angelegtes Drama über einen nationalen Schandfleck: die Internierung und Deportation von 13000 Pariser Juden im Jahr 1942, die französische Behörden maßgeblich unterstützten. Regisseurin Rose Bosch setzt in ihrem Film alles auf die emotionale Karte. Im Gewand des Gefühlskinos werden die Ereignisse zur Parabel mit Appellcharakter.

Webseite: www.die-kinder-von-paris.de

LA RAFLE
Frankreich 2010
Buch und Regie: Rose Bosch
Kamera: David Ungaro
Darsteller: Mélanie Laurent, Jean Reno, Raphaëlle Agogué, Gad Elmaleh, Hugo Leverdez, Mathieu und Romain Do Concetto
Filmlänge: 115 Minuten
Kinostart: 10. Februar 2011
Verleih Constantin Film
 

PRESSESTIMMEN:

Ein aufwühlendes Stück großes Kino, das sich hinter Klassiker wie "Schindlers Liste" nicht verstecken muss.
Brigitte

FILMKRITIK:

Am 16. Juli 1942 setzten französische Polizisten rund 13000 Juden in Paris fest, die wenig später in die Vernichtungslager Osteuropas verschleppt wurden. 25 Erwachsene überlebten, alle 4051 Kinder starben. Weiteren 15000 Pariser Juden gelang es, vor der Razzia unterzutauchen, mit Hilfe nichtjüdischen Franzosen. Das sind die rohen Fakten, ein Unterkapitel in der Geschichte des nationalsozialistischen Vernichtungswahns. Die Tatsachen sind lange bekannt, aber das offizielle Frankreich schwieg über Jahrzehnte. Erst 1995 gestand der damalige Präsident Jacques Chirac die Mitschuld ein. Es ist also ein nach wie vor heikles Thema, und Rose Bosch, die von ihrem jüdischen Mann, dem Filmproduzenten Ilan Goldman, inspiriert wurde, stand vor der Frage, die sich jeder Filmemacher stellen muss: Wie inszeniert man den Holocaust?

Ihr Film beginnt mit den bekannten Aufnahmen von Hitler in Paris nach dem Sieg der Wehrmacht über Frankreich. Das deutet auf ein Doku-Drama hin, doch sehr schnell zeigt sich, dass diese Aufnahmen nur eine Beglaubigungsurkunde sind. Alles, was folgt, so die Botschaft, ist historisch verbürgt. Dann wird von schwarz-weiß auf sehr bunt umgeschaltet. In satten Farben kommt das Leben am Montmartre ins Bild, einem Viertel, wo Juden und Nichtjuden noch weitgehend friedlich zusammenleben, obwohl die Diskriminierung schon fortgeschritten ist. Dann der Schock: Die Juden werden abgeholt und in einem Velodrom zusammengepfercht. Ohne Wasser, Nahrung und mit minimaler medizinischer Versorgung. Es geht weiter in ein Lager bei Paris und von dort per Zug in den Tod.

Die Regisseurin konzentriert sich auf das Leid und die Grausamkeit dieses Verbrechens. Unübersehbar ist ihr Anliegen, dass das Publikum „ständig Mitgefühl mit den Filmfiguren empfindet“, wie sie in einem Interview sagte. Die Kamera bewegt sich oft auf Augenhöhe der Kinder und folgt vor allem dem elfjährigen Jo (Hugo Leverdez), einer Figur, die Joseph Weissman nachempfunden ist. Er konnte aus dem Lager bei Paris fliehen und trug viel zum Drehbuch bei. Am meisten zu Herzen geht aber der kleine Nono (in einer Doppelrolle: Mathieu und Romain Do Concetto). Ein süßer Fratz, der sterben soll, weil die Nazis es so wollen. Der Knirps mit den großen Augen ist die personifizierte Anklage gegen das mörderische Treiben. Die moralische Instanz verkörpert die Krankenschwester Annette Monod (Mélanie Laurent), auch sie eine historisch verbürgte Figur, die den Juden im Velodrom und im Lager beistand. Ihr Mitleid kennt keine Grenzen. Sie weigert sich, mehr zu sich zu nehmen als die Hungerrationen der Gefangenen, und sie zerbricht fast, als sie sehen muss, dass die Familien zerrissen und Frauen, Männer und Kinder in getrennte Transporte gesteckt werden. Die Krankenschwester wird – was ihr als Filmfigur nicht gut tut-, zum übergroßen Symbol mit Appellfunktion. Bosch bringt hier allzu vehement ihre Botschaft unter, wie dem Vernichtungswahn zu begegnen ist: mit Mitgefühl und moralischen Prinzipien. Beispiele im Kleinen liefert der Film ebenfalls. Auch in Frankreich war der Antisemitismus stark verbreitet, doch nicht wenige Menschen halfen den Juden.

Bosch betont dies zu sehr – wohl auch aus Rücksichtnahme auf die Gefühlslage der Nation, die sich nicht als Tätervolk abgestempelt sehen will. Davon abgesehen ist der Appell ans Mitgefühl ein bisschen einfach gedacht. Selbst wenn der Widerstand gegen die Judenverfolgung größer gewesen wäre, hätte sich ein skrupelloses und zu allem entschlossenes Besatzungsregime wie das der Nazis nicht von seinen Plänen abbringen lassen. Die angedeutete Versöhnung zum Schluss, die die Lebenden und Überlebenden mit einer Perspektive ausstattet, wirkt dann auch etwas schal. Und zieht die Frage nach sich, ob es angesichts der Monstrosität des Verbrechens und des Respekts vor den Ermordeten angemessen ist, auf der Klaviatur des Gefühlskinos zu spielen, als handele es sich beim Thema Judenvernichtung um einen beliebigen Dramen-Stoff. Der deutsche Verleih hat schon mal eine Antwort gegeben. Er setzt mit dem Titel „Die Kinder von Paris“ ebenfalls ganz auf die emotionale Karte.

Volker Mazassek

Der perverse Judenverfolgungswahn der Nazis griff auch auf Frankreich über, vor allem auf den Anfang der 40er Jahre von den Deutschen besetzten Teil. Die NS-Maschinerie befahl im Juli 1942, 28 000 Pariser Juden zu verhaften. Ohne französisches Zutun wäre dies nicht möglich gewesen. Also machten die Kollaborateure, Marschall Pétain, die Regierung, die Polizei mit, zum Teil befehlshalber, zum Teil weil auch in Frankreich teilweise ein handfester Antisemitismus herrschte. In einer frühmorgendlichen Razzia wurden auf einen Schlag nicht weniger als 13 000 Personen verhaftet, Männer, Frauen, Junge, Alte, und zum Teil in das Winter-Radrennstadion abgeschoben, zum Teil nach Drancy, einen Ort nahe der Hauptstadt, gebracht.

Fünf Tage lang herrschten bei den Festgenommenen vor allem im Stadion unmenschliche Bedingungen: zu wenig Wasser, zu wenig Toiletten, zu wenig Essen, zu wenig Ruhe, zu wenig Schlaf, zu wenig Gewissheit, zu wenig Hoffnung – dafür aber viel Verzweiflung. Man versprach den Menschen, dass sie in Frankreich bleiben könnten und nur interniert würden. Eine infame Lüge.

Da zum Abtransport nach Osten in die Vernichtungslager zunächst zu wenig Wagons zur Verfügung standen, trennte man die Kinder von den Eltern. Ein unsäglicher Schmerz auf beiden Seiten war die Folge. Später führte man die Familien wieder zusammen – aber im Grunde nur um sie ermorden.

Nicht mehr als 25 Erwachsene kamen zurück, über 4000 Kinder sind gestorben.

Anhand von einzelnen authentischen Einzelschicksalen wie dem der Familie Weismann, dem des Arztes David Sheinbaum, dem der Krankenschwester Annette Monod, dem der Dina Traube oder dem der Concierge Tati hat Rose Bosch das erschütternde Drehbuch zusammengestellt und den Film sehr realistisch und mit großem Aufwand für 20 Millionen Euro inszeniert. Die vielen schrecklichen Erlebnisse, insbesondere auch der Kinder, sind ebenso tiefgehend wie die Schauspielerleistungen von Jean Reno (Dr. Sheinbaum), Mélanie Laurent (Annette Monod) oder Gad Elmaleh (Schmuel Weismann) und anderen bewegend sind.

Zwei zusätzlich wichtige Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Thema und dem Film: In Frankreich war das nur zu hilfswillige Verhalten der Vichy-Regierung und ihrer Behörden bei der unmenschlichen Verhaftungsaktion mit den verheerenden Folgen jahrzehntelang tabu. Man besinnt sich langsam eines Besseren. Rose Boschs Werk, dem seriöse Arbeit während mehrerer Jahre vorausgeht, wird dazu beitragen.

Der zweite wichtige Gesichtspunkt: „Die Kinder von Paris“ soll mit dafür sorgen, dass derlei nie mehr geschehen kann. Nie mehr.

Thomas Engel