Kirschblüten – Hanami

Zum Vergrößern klicken

„Im Kino gewesen. Geweint.“ – hat Franz Kafka einst so trefflich in sein Tagebuch notiert. 85 Jahre später werden etliche Zuschauer wohl ähnlich empfinden. Selbst eingefleischte Doris Dörrie-Hasser haben auf der Berlinale-Weltpremiere bei diesem Drama um Tod und Familie so manche Träne verdrückt. Kitschklippen lauern bei so einer Geschichte, in der ein älteres Paar erst durch den Tod von einem Partner wirklich zusammenfindet, an jeder Ecke. Doch das Ergebnis ist bewegend und ohne falsche Sentimentalität – nicht zuletzt wegen der grandiosen Leistungen von Hannelore Elsner und Elmar Wepper, der hier mit der ersten Hauptrolle im Kino gleich die Rolle seines Lebens spielt. Die große Festival-Begeisterung von Berlin dürfte sich im harten Kinoalltag halten – wenngleich dann ohne die stehenden Ovationen wie auf der Berlinale.

Webseite: www.kirschblueten-film.de

Deutschland 2007
Regie: Doris Dörrie
Drehbuch: Doris Dörrie
Kamera: Hanno Lentz
Schnitt: Inez Regnier, Frank Müller
Darsteller: Elmar Wepper, Hannelore Elsner, Nadja Uhl, Maximilian Brückner, Aya Irizuki, Birgit Minichmayr, Floriane Daniel, Felix Eitner, Celine Tannenberger, Robert Döhlert
FSK: ab 12; Länge: 122 min
Verleih: Majestic (Fox)
Kinostart: 6.März 2008

PRESSESTIMMEN:

Ein zärtlicher, sehr bewegender Film.
KulturSPIEGEL

Ein tieftrauriger und zugleich sehr beglückender Film über den Tod. (...) In ihrem bislang stärksten Film erzählt Doris Dörrie feinfühlig, lakonisch und bewegend von Verlust, Trauer und der Lebenslust im Angesicht des Todes.
Der Spiegel

Weitere Pressestimmen auf film-zeit.de hier...

FILMKRITIK:

„Mein Mann mag keine Abenteuer“ sagt Trudi (Hannelore Elsner), als ihr die Ärzte die tödliche Diagnose für den Gatten eröffnen und für dessen letzten Tage eine schöne Reise vorschlagen. Rudi (Elmar Wepper) liebt seine Ordnung über alles, jeden Tag nimmt der Beamte um 7.25 Uhr den Zug nach Weilheim. Nur einmal in 20 Jahren war er krank. „An apple a day keeps the doctor away“ ist sein Lieblingsspruch. Das Obst, das die fürsorgliche Gattin ihm täglich ins Vesper packt, schenkt er freilich seinem Kollegen. Ein bisschen ein Grantler ist er schon, der Rudi. „Der Fujiama ist letzten Endes auch nur ein Berg“ dämpft er den Vorschlag seiner Frau, endlich einmal ihren Sohn Karl in Japan zu besuchen. Immerhin zu einer Reise nach Berlin kann sie ihn überreden, da leben die anderen beiden Kinder. 

Im Zug muss Trudi ihre dunkle Brille aufsetzen, um die Tränen zu verstecken. Sie ist die einzige, die um das Schicksal ihres Mannes weiß. Bei der Familienbegegnung in Berlin herrscht das große Schweigen, „Ich kenne sie nicht, sie kennen mich nicht“ gibt sich der Vater gleichmütig. Nur die lesbische Freundin der Tochter zeigt sich begeistert vom Besuch. Die Eltern reisen an die nahe Ostsee. „Das Meer ist auch nicht mehr das, was es einmal war“, kommentiert Rudi die Aussicht. Am nächsten Morgen findet er seine Frau tot neben sich im Bett. Eine Welt bricht zusammen. Doch dann soll sich eine ganz neue Welt eröffnen. Erst jetzt erfährt der Witwer von den vergessenen Sehnsüchten seiner Frau, von ihrer großen Liebe für Japan und dass sie gerne Butoh-Tänzerin geworden wäre. Stattdessen hat sie sich in ihr Schicksal gefügt, war mit dem kleinen Glück zufrieden ohne weiter nach dem großen Traum zu streben. Eine bittere Erkenntnis für den Ehemann, der nun, mit ein paar Souvenirs an seine Frau, den Wunsch ihrer Japan-Reise symbolisch nachholt. Auch in Tokio haben Vater und Sohn sich wenig zu sagen. Wirklichen Seelentrost findet Rudi nur bei einem fremden, jungen Mädchen. Sie bringt ihm das Tanzen unter den blühenden Kirschbäumen bei und reist mit ihm zum Fujiama. Als dort nach tagelangem Warten endlich die Wolke aufbrechen, ist es Zeit für den letzten Tanz, den Rudi nun mit seiner Trudi vor der imposanten Kulisse aufführt. 

Kitsch as Kitsch can, könnte man bei so einer Story befürchten. Und simple Trauer-Trost-Mechanik erwarten. Doch falsche Rührseligkeiten kommen bei dieser Geschichte um Abschied, Tod und Trauer an keiner Stelle auf. Fast schlicht stellt Dörrie die Emotionen der Beteiligten aus und erreicht gerade durch diesen Verzicht, auf die Tränendrüsen zu drücken, die beste Wirkung. Dieses alte Ehepaar rührt einen an und wirkt rundum glaubwürdig, allenfalls die Elsner ist vielleicht eine Spur zu fein für die rustikale Rolle. Macht aber nichts, man ist von Anfang an emotional mittendrin statt nebenan. Sei es bei den Verständigungsproblemen zwischen Eltern und den erwachsenen Kindern. Oder beim Umgang mit Verlust und Tod: „Die Themen kennt wirklich jeder aus eigener Erfahrung“ sagt die Regisseurin und Autorin ganz treffend. 

Dass sie mit ihrer digitalen Kamera so schöne Bilder für ihre Erzählung findet, macht die Sache umso überzeugender. Aller Tragik zum Trotz geht der Humor nie verloren. Da verzweifelt das Ehepaar in der großen Stadt schier am komplizierten Fahrkartenautomaten. Ähnlich panisch reagiert der Sohn, als Papa sich in Tokio verläuft und er ihm einen Schild mit Namen und Telefonnummer um den Hals hängt. Absoluter Höhepunkt sind die Butoh-Tänze, japanische Schattentänze mit den Toten, die von Tadashi Endo, dem weltberühmten Butoh-Lehrer aus Göttingen, choreographiert und getanzt wurden. Vor 25 Jahren hat Doris Dörrie „Mitten ins Herz“ gedreht – diesmal hat sie diesen Titel souverän umgesetzt.
 

Dieter Oßwald

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Trudi und Rudi leben idyllisch im Allgäu. Sie sind schon etwas älter, lieben sich, führen ein ruhiges Leben. Nicht ganz. Denn Rudi ist kränker, als er weiß.

Trudi ist an sich die Lebhaftere. Doch sie hat eine ganze Menge Träume aus Liebe zu Rudi aufgegeben. Beispielsweise ihr Interesse für Japan, speziell für den Fuji, die Kirschblütensaison und den Butoh-Tanz.

Von ihren Kindern leben ein Sohn mit Familie und eine Tochter mit ihrer Geliebten in Berlin, der andere Sohn in Tokio. Rudi und Trudi raffen sich zu einem Besuch in der Hauptstadt auf, doch die Begegnungen sind alles andere als glücklich. Also reisen die beiden an die Ostsee. Ein paar schöne und gemeinsame Tage verbringen sie noch – und dann wacht Trudi eines Morgens nicht mehr auf. Rudi ist verwirrt, einsam, untröstlich.

Er macht sich auf nach Tokio zu seinem Sohn. Warum das? Er hat zu spät erkannt, was er Trudi nicht gegeben hat. Jetzt drängt es ihn, möglichst viel gut zu machen, quasi in ihre Rolle zu schlüpfen, alles nachzuholen.

Willkommen ist er bei seinem Sohn gerade nicht. Oft ist er allein oder irrt in der Riesenstadt umher – bis er die Butoh-Tänzerin Yu findet, die abgeschieden in einem Zelt am Stadtrand haust. Ein alter Witwer und eine fast ätherisch wirkende Einzelgängerin haben sich da gefunden. Eine seltsame, fast nostalgisch erscheinende, platonische Freundschaft entsteht. Doch Rudi hat nicht mehr lange zu leben.

Doris Dorrie ist die Autorin und Regisseurin. Aus ihrer Liebe zu Japan, zum Butoh-Tanz, zu den beiden Hauptdarstellern Elmar Wepper und Hannelore Elsner, zu dem Zusammenphantasieren von Geschichten ist diese Produktion entstanden.

Die Dörrie improvisiert gerne, und so ist zwischen den sehr verschiedenen Handlungselementen nicht immer eine schlüssige Dramaturgie entstanden. Dennoch gibt es zahlreiche schöne, sehenswerte Szenen – beispielsweise zwischen Wepper und Elsner, an der Ostsee, mit der anmutigen japanischen Tänzerin, bei dem Ausflug zum Fuji und während der Kirschblüte, oder Rudis Alleinsein – so dass sich der Besuch des Films auf jeden Fall lohnt.

Das Erstaunlichste dabei ist Elmar Weppers darstellerische Leistung. Die Reife seines Spiels rührt und kann sogar überwältigen. Das ist Schauspielkunst.

Thomas Engel