Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel

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Eine Kleist-Verfilmung, ein Film übers Filmemachen, eine selbstreflexive Studie über die eigene Entstehung – Es ist eine ganze Menge, was Aron Lehmann in seinem Debütfilm „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ versucht. Umso bemerkenswerter, wie gelungen die kleine Produktion ist, die zu den interessantesten deutschen Filmen des Jahres zählt.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2012
Regie, Buch: Aron Lehmann
Darsteller: Robert Gwisdek, Jan Messutat, Thorsten Merten, Rosalie Thomass, Heiko Pinkowski, Michael Fuith
Länge: 90 Minuten
Verleih: missingfilms
Kinostart: 8. August 2013

PRESSESTIMMEN:

"Eine unterhaltsame Tragikomödie über das Filmemachen zwischen kreativen Visionen, menschlichen Schwächen und Sachzwängen. - Sehenswert."
film-dienst

FILMKRITIK:

Der erste Drehtag läuft noch gut: Der ambitionierte Jungregisseur Lehmann (Robert Gwisdek) inszeniert mit großem Aufwand Kohlhaas (Jan Messutat) hoch zu Ross. Doch am Abend kommt der Anruf, der alle Pläne zunichte macht: Die Produktionsfirma steigt aus, Lehmann steht plötzlich ohne Geld da und muss am Morgen seiner Crew die traurige Wahrheit mitteilen. Doch der Regisseur gibt nicht auf und animiert mit seinem Engagement zumindest einen Teil der Schauspieler und Techniker weiterzumachen, für das gemeinsame Projekt zu kämpfen, zu improvisieren und vor allem: Die Phantasie spielen zu lassen. Wenn Lehmann dann übers Feld hoppelt und nur so tut, als säße er auf einem Pferd, mutet das in etwa so an wie einst Monty Pythons Ritter der Kokosnuss, die in Ermangelung von echten Pferden kurzerhand mit Nüssen das Klacken der Hufe imitierten.

In einem kleinen bayrischen Dorf findet die nur noch rudimentäre Crew Unterschlupf, die lokale Feuerwehr sagt ebenso Unterstützung zu wie der Bürgermeister, der auch gleich die Rolle des Fürsten übernimmt, der Kohlhaas um seinen Gaul bringt. Der hier zwar ein widerspenstiger Ochse ist, aber da muss eben die Phantasie helfen. Immer verbissener hält Lehmann an seinem Traum fest, überredet seinen Star zum Weitermachen, verspielt nach und nach die Sympathie der anfangs noch enthusiastischen Dorfbewohner und steht bald vor der Frage, wie viel er bereit ist, für einen Film zu opfern.

Es ist natürlich kein Zufall, dass Aron Lehmann seinen von Robert Gwisdek gespielten Regisseur nach sich selbst benannt hat. Wirklich autobiographische Züge dürfte „Kohlhaas“ zwar nicht tragen, doch die Intention ist deutlich: Wie kann Film im deutschen Fördersystem aussehen, wie kann man mit geringen Mitteln große Filme drehen und vor allem: Ist es wirklich immer nötig viel Geld zu haben, große Bauten, schwelgerische Kostüme? Sollte Kino nicht vor allem über die Imagination funktionieren?

All diese Fragen deutet Aron Lehmann an, ohne sie zu einer allzu plakativen Antwort zu führen. Gleichzeitig ist sein Film auch eine erstaunlich getreue Verfilmung der berühmten Novelle von Kleist, reduziert auf kaum mehr als eine Handvoll prägnanter Szenen, in denen die Ungerechtigkeit, die Kohlhaas widerfährt, dennoch deutlich wird. Zwar verschmelzen Kohlhaas und Lehmann im Lauf des Films zunehmend, doch allzu weit treibt Aron Lehmann die Parallele zum Glück nicht: Filmemachen als Krieg, die Fördergremien als ungerechte Herrscher – das hätte dann doch zu weit geführt.

Doch auch so deutet Aron Lehmann an, welche Schwierigkeiten gerade einem jungen, noch nicht etablierten Regisseur entgegenschlagen, welche Unwägbarkeiten zu überwinden sind, wenn man einen auch nur ansatzweise persönlichen Film drehen will. Dass er sich dabei bisweilen etwas verheddert, manche Aspekte begonnen und dann einfach fallen gelassen werden, kann angesichts der vielen Ideen verschmerzt werden. Aron Lehmann geht offensiv mit den geringen Mitteln um, die er in seinem Abschlussfilm an der Filmhochschule Potsdam zur Verfügung hatte, um und beweist damit ein Maß an Originalität und Imaginationskraft, die „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ zu einem der interessantesten deutschen Filme des Kinojahrs macht.

Michael Meyns

Eine gute Idee, den klassischen Kleistschen Kohlhaas zu verfilmen, eines der eindrucksvollsten Dramen über den Kampf um Gerechtigkeit.

Aron Lehmann hat sein Team versammelt. Da kommt die Nachricht, dass die Produzenten ausgestiegen sind. Aber kann man beinahe ohne Geld einen Film herstellen? Man kann es versuchen.

Man muss es versuchen, wenn man ein derartiger Idealist ist wie dieser Autor und Regisseur, wenn man eine solche Vorstellungskraft besitzt.

Kohlhaas ist Pferdehändler, muss jedoch auf einem Ochsen reiten, weil kein Pferd verfügbar ist. Schmerzlich.

Der Bürgermeister des Dorfes, in dem ein Teil des Films gedreht wird, hilft. Er ist selbst „Schauspieler“. Doch das Team muss unter primitivsten Bedingungen wohnen.
Einzelne Szenen des Kleist-Dramas können immer wieder gedreht werden. Dilettantisch – aber im guten Sinne.

Der Darsteller des Kohlhaas meutert. Er hält die Umstände für unannehmbar. Er lässt sich noch einmal bewegen.

Die Handlung geht weiter: der fehlende Passierschein auf dem Weg nach Dresden; die Einbehaltung des Rappens als Pfand; die Misshandlung des Pferdes; Kohlhaas‘ Protest und erfolglose gerichtliche Klage.

Der Schauspieler der Hautrolle steigt endgültig aus. Der Regisseur muss die Rolle übernehmen. Auch der Darsteller der Rolle des Knechts und die Statisten stellen alles in Frage, identifizieren sich nicht mehr mit der Sache.

Der Versuch von Kohlhaas‘ Frau, Gerechtigkeit zu erlangen; die Schändung der Frau und ihr Tod; Kohlhasens und seiner wenigen verbliebenen Getreuen Angriff.

Zum Dramenschluss, Kohlhaasens Hinrichtung, scheint es nicht mehr zu reichen. Ende.
Ist der Ausstieg der Produzenten eine Realität – oder ein Trick? Ist das ganze Experiment als solches von vornherein geplant?

Wahrscheinlich. Natürlich. Ein Film, der so gestaltet ist, als wäre das Misslingen des ursprünglichen Plans eine traurige Tatsache. Einer, der so täuschend gemacht ist, dass er fast in die Irre führt. Aber nur scheinbar.

Auf jeden Fall wirft der Film ein bezeichnendes Licht auf die Situation vieler junger Künstler, deren Kreativität an mangelnden Mitteln scheitert. Allerdings auch viel Licht auf ihren unverwüstlichen Idealismus.

Ein paar besonders bemerkenswerte Momente: dass am Ende (jeweils nur) die Getreuesten bei der Stange bleiben; wenn gezielte Naturaufnahmen vermutete Handlungsteile ersetzen; die rührende kurze Szene nach dem Tod von Kohlhaas‘ Frau, als der Vater die beiden Kinder in den Armen hält; und andere Momente.

Auf jeden Fall ein höchst interessantes Experiment.

Thomas Engel