kommenden Tage, Die

Zum Vergrößern klicken

Man muss sich auf einiges gefasst machen, wenn die Zukunft so aussieht, wie Lars Kraume sie entwirft. Um die knapp werdenden Ressourcen wird Krieg geführt, die Armen stürmen die Festung Europa, den Wohlstands-Gesellschaften bröckelt der Wohlstand weg. Die Menschen sind auf einem zerstörerischen Weg. Zwar pendelt „Die kommenden Tage“ etwas unentschlossen zwischen Familien- und Endzeit-Drama und manches gerät allzu schematisch. Doch Kraume gelingt es, die Spannung hochzuhalten und vor allem: Er stellt die richtigen Fragen.

Webseite: www.diekommendentage-film.de

Deutschland 2010
Buch und Regie: Lars Kraume
Kamera: Sonja Rom
Darsteller: Bernadette Heerwagen, Johanna Wokalek, Daniel Brühl, August Diehl
Filmlänge: 130 Minuten
Verleih: Universal Pictures
Kinostart: 4. November 2010
 

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

Auf den ersten Blick kommt einem die nahe Zukunft sehr bekannt vor. Im Fernsehen laufen schlechte Nachrichten, aber das ist weit weg und der eigene Kühlschrank voll. Doch die Weichen sind in dieser Situation längst gestellt. Am Ende wird eine Familie zerstört sein, ein Krieg im Kleinen, der für die Zerreißprobe steht, in der sich die Welt befindet. In Kraumes Szenario sind in ein paar Jahren die globalen Probleme dieselben wie heute, aber die Konflikte, die sie nach sich ziehen, sind schärfer, sowohl zwischen der Ersten und der Dritten Welt als auch innerhalb der reichen Gesellschaften. Der vierte Golf-Krieg ist im Gang und löst eine Handlungsspirale aus im Hause der Familie Kuper. Cecilia (Johanna Wokalek), die eine Tochter, leicht wohlstandsverwahrlost und zickig, gerät im Sog ihres Freundes Konstatin (August Diehl) in den Sog radikaler Kreise, die das Land destabilisieren wollen, um die Welt zu retten. Laura (Bernadette Heerwagen), die andere Tochter, etwas brav, aber mit großem Herzen, sucht vor allem ihr privates Glück. Beider Vater verdient an der Ausbeutung armer Länder, ihre Mutter leidet unterm Ehejoch. Da braut sich einiges zusammen.

Kraume spielt die Optionen durch, die als Reaktion auf das Elend möglich sind. Konstantin, angewidert von der westlichen Dekadenz, wandelt sich zum eiskalten Terroristen. Seine Freundin Cecilia wird zur Mitläuferin. Laura blendet das große Ganze aus und möchte vor allem ein Kind. Das Quartett komplettiert Hans (Daniel Brühl), in den Laura sich verliebt. Er ist ein Aussteiger, der sich in die Natur zurückziehen möchte, bis der ganze Laden auseinander fliegt. Alle wollen das Beste und machen auf ihre Weise alles kaputt. Wohlfeile Lösungen bietet der Film nicht an. Das macht einen Teil seines Reizes aus, ebenso wie der Umstand, dass die Zukunft ganz schön retro ist. Das fängt an bei Details wie dem autofreien Sonntag, geht weiter bei der obszönen Saturiertheit der Reichen sowie den alten Fragen der Legitimation des Terrors und erinnert in der unerbittlichen Mechanik sich verkettender Entscheidungen an eine antike Tragödie.

Die Versuchsanordnung überzeugt mehr als die Figuren. Nicht nur weil sie manchmal zu deutlich Chiffren sind – hier das Zerstörerische, dort die Kraft des Lebens -, sondern auch weil die Rollen allzu nahe liegend besetzt sind. Daniel Brühl spielte im ähnlich gelagerten Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ eine verwandte Rolle. Das Diabolische hat man bei August Diehl („Der neunte Tag“, „Slumming“) schon oft genug gesehen. Johanna Wokalek ist als Terroristin zwar viel zweifelnder als in „Der Baader-Meinhof-Komplex“, aber Grudrun Ensslin schimmert doch ein bisschen durch. Allein Bernadette Heerwagen, die zentrale Figur des Films, geht weniger eingeschliffen zu Werk. Dass man mehr als zwei Stunden am Ball bleibt, liegt vor allem daran, dass Kraume die Lebensentscheidungen seiner Figuren konsequent ausspinnt. Gangbare Wege zeigt er nicht. Es gibt ein paar Andeutungen, dass ein Zurück zur Natur vielleicht gut wäre. Kein naives Zurück zur Natur allerdings. Es wäre eher eine Natur, die ohne Menschen auskommt.

Volker Mazassek

Walter und Martha Kuper die Eltern, Laura und Cecilia die Töchter, Philip der Sohn. Sie bilden eine Familie gehobenen Durchschnitts, könnte man sagen. Laura studiert, Cecilia führt ein eher unstetes Leben, Philip wird später zur Bundeswehr gehen.

Das Verhältnis zwischen den Eltern und den beiden Töchtern ist nicht gerade das Beste. Dasjenige zwischen den Ehegatten übrigens auch nicht. Die Scheidung liegt in der Luft.

Laura ist mit Hans befreundet, Cecilia mit Konstantin.

Das alles spielt sich nicht in unseren Tagen ab, sondern 2020. Eine – pessimistische – Sicht auf die Dinge, wie sie in den „kommenden Tagen“ eintreffen könnten.

Hans war gut im Geschäft. Doch er ist ausgestiegen, züchtet auf einer Berghütte Vögel. Er hat gravierende Probleme mit seinem Sehvermögen. Außerdem können Laure und er aus genetischen Gründen keine Kinder bekommen. Doch dass die beiden sich – für lange Zeit – auseinanderleben, ist unglücklich und kaum einzusehen.

Cecilia lässt sich von ihrem revolutionär eingestellten Konstantin zur Terroristin anheuern. Die „Schwarzen Stürme“, wie sich nennen, sind gegen das bürgerliche, das überkommene demokratische politische System. Geheime Sitzungen, Demonstrationen, Vorbereitung von Attentaten, Tötung eines Polizisten, um die Bevölkerung gegen die bestehenden Zustände aufzubringen. Sehr lange kann das nicht gut gehen.

Nach ihrer Trennung von Hans lässt Laura sich von Konstantin verführen. Sie bekommt ein Kind, weiß nicht, dass Konstantin sie zur Vortäuschung einer bürgerlichen Existenz, zur Tarnung missbraucht. Vielleicht wird, wenn mit Cecilia und Konstantin, mit den Schwarzen Stürmen, mit den Eltern, mit Philip sich alles zuspitzt, Hans doch noch ihr Retter sein.

Terrorismus, abgeriegelte Bezirke, Zunahme der allgemeinen Gefahr für Leib und Leben, Überschwemmung mit afrikanischen Flüchtlingen – ist das die Vision für das Jahr 2020?

Kraumes Film ist sicherlich eine stark überspitzte Fiktion. Zum Nachdenken kann er trotzdem anregen, denn beispielsweise die Themen Terrorismus und Flüchtlinge dürften so schnell nicht aus der Welt zu schaffen sein.

Abgesehen von den thematischen Gesichtspunkten ist die inszenatorische Machart beachtlich. Das Spiel der Darsteller durchgehend sowieso: Bernadette Heerwagen (Laura), Johanna Wokalek (Cecilia), Daniel Brühl (Hans), August Diel (Konstantin).

Thomas Engel