Kommissar Bellamy

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Die eindrucksvolle Begegnung zweier Giganten: Gérard Depardieu im neuesten Kriminalfilm von Altmeister Claude Chabrol. Mit „ Kommissar Bellamy“ setzt die Regielegende der Nouvelle-Vague dem französischen Schwergewicht Depardieu ein filmisches Denkmal. Da der 78jährige in dem französischem Urgestein einen typischen Georges-Simeon-Charakter sieht,  lehnt der Chronist der französischen Bourgeoise die Rolle seines Hauptdarstellers gekonnt an die berühmte literarische Figur Maigret an. 

Webseite: www.concorde-film.de

Frankreich 2009
Regie: Claude Chabrol
Darsteller: Gérard Depardieu, Jacques Gamblin, Clovis Cornillac, Marie Bunel, Vahina Giocante, Adrienne Pauly, Yves Verhoeven, Bruno Abraham-Kremer, Rodolphe Pauly
Drehbuch: Odile Barski, Claude Chabrol
Länge: 110 Minuten
Verleih:  Concorde Filmverleih
Kinostart: 9.7.2009

PRESSESTIMMEN:

Ein elegantes, wunderbar abgründiges Psycho-Versteckspiel von CLAUDE CHABROL, in dem Frankreichs Kino-Titaln GERARD DEPARDIEU so gut ist wie seit Ewigkeiten nicht mehr.
Der Spiegel


FILMKRITIK:

Sommer in Südfrankreich. Gelangweilt sitzt der Pariser Polizeikommissar Paul Bellamy (Gérard Depardieu) in seinem Ferienhaus und löst Kreuzworträtsel. Wie jedes Jahr verbringt der rechtschaffene Genussmensch mit seiner attraktiven Frau Françoise (Marie Bunel) den Urlaub im Haus ihrer Familie in Nimes. Eigentlich hätte seine Frau lieber eine Kreuzfahrt gemacht. Aber der behäbige Kommissar hasst es zu reisen. In diesem Jahr werden es trotzdem außergewöhnliche Ferien. Denn Kommissar Bellamy kann es nicht lassen. Ein geheimnisvoller Anrufer, der in einen mysteriösen Mordfall mit Versicherungsbetrug verwickelt ist, lockt ihn aus der Reserve.  
Er lässt sich auf  die verworrene Geschichte des ehemaligen Versicherungsvertreter Noël Gentil ein. Auf eigene Faust beginnt der alternde Star-Kommissar zu ermitteln. Der verschreckte Kleinbürger Gentil versteckt sich ängstlich vor seiner Ehefrau und seiner äußerst anspruchsvollen Geliebten in einem Hotel. Verzweifelt fleht er Bellamy an, ihm zu helfen. Grund: Er befürchtet einen Mann getötet zu haben. Anfangs will Noël Gentil dem Kommissar freilich nicht einmal verraten, wer sein Opfer war.

Als zu allem Überfluss auch noch Bellamys jüngerer, durchtrainierter Halbbruder Jacques (Clovis Cornillac) überraschend auftaucht, ist es mit dem häuslichen Frieden endgültig vorbei. Das ungleiche Geschwisterpaar schenkt sich nichts. Misstrauisch beobachten sie einander. Sie streiten und belauern sich. Jacques, ein verlorener, alkoholkranker Spieler und hoffnungsloser Abenteurer, gescheiterter Rebell und Verlierer, kämpft verzweifelt um die Anerkennung seines erfolgreichen Bruders. Und der versucht genauso verzweifelt ihn zu retten.

Selten zeigte die Filmgeschichte ein optisch so ungleiches Geschwisterpaar. Nicht sehr oft erlebt der Zuschauer aber auch derart großartige Schauspielkunst, die in ihren besten Momenten an das intensive Spiel der Brüder Aron und Cal aus Elia Kazans grandiosem Meisterwerk „Jenseits von Eden“ erinnert. Zusammen mit Urgestein Depardieu brilliert Clovis Cornillac, der dynamische Schauspieler mit dem intensiven Blick und dem Körper eines Boxers, der im Autorenkino ebenso zu Hause ist wie im Unterhaltungskino, in diesem archaischem Bruderkonflikt.

Zur Figur des Polizeikommissars Bellamy ließ sich Claude Chabrol von keinem Geringeren als Kommissar Maigret inspirieren. „Die Idee zum Film entstand aus der Lust, eine Hommage an Simenon zu kreieren“, verrät die Regielegende, „zumal ich finde, dass Gérard Depardieu ein ausgesprochener Simenon-Charakter ist.“ Ganz wie sein literarisches Pendant löst auch Kommissar Bellamy seinen Fall mit einer unvergleichlichen Mischung aus Intuition und Routine.

Altmeister Chabrol legt freilich nach wie vor größten Wert darauf, den Zuschauer seine eigene Position beziehen zu lassen. Auch in „Kommissar Bellamy“ zeichnet er deshalb bewusst Figuren, die sich einer kritiklosen Identifikation verweigern. Ganz im Gegensatz zu seinem Vorbild Alfred Hitchcock arbeitet der Workaholic aus diesem Grunde immer noch sehr selten mit subjektiven Kameraeinstellungen. Obwohl der Bonvivant die Geschichte seines Kommissars Bellamy ausschließlich aus dessen Sichtweise erzählt. Schließlich schneiderte Chabrol der Galionsfigur des französischen Films seine Rolle perfekt auf den fülligen Leib. Nicht zuletzt deshalb funktioniert sein durch und durch französischer Arthousefilm.

Obsession und Abhängigkeit, Bourgeoisie und Bigotterie, Mord und Verrat zählten schon immer zu den bevorzugten Themen seiner intellektuellen Gesellschaftskrimis. Auch in seinem Spätwerk „Kommissar Bellamy“ entlarvt der Sohn eines Apothekerpaares die Abgründe des Bürgertums. Aber etwas hat sich verändert. Trotz der üblichen geschliffenen Seitenhiebe auf deren Dekadenz zeigt der altersmilde Chabrol diesmal sogar Sympathien für seine Missetäter. In einer völlig absurd wirkenden Szene singt der junge Rechtsanwalt im Gerichtssaal ein Chanson von George Brassens. Mit diesem ungewöhnlichen Plädoyer überzeugt er die Richter von der Unschuld des Angeklagten.

„Für mich ist Maigret ein Flickschuster für kaputte Schicksale“, betonte einst George Simeon, „er verurteilt nie“.  Daran scheint sich auch Chabrols neuer Film auszurichten. Wer außerdem weiß, dass sich Chabrol bei der Namensgebung für seinen Kommissar vom französischen Schriftstellers Guy de Maupassant und seinem Werk „Bel ami“ leiten ließ, wundert sich nicht mehr. Denn schließlich lautete Maupassants Maxime: „Das einzige Gesetz, auf das es ankommt, ist das allerhöchste Gesetz der Menschlichkeit.
 
Luitgard Koch

 

Kommissar Paul Bellamy macht mit seiner Frau Françoise Urlaub im Süden Frankreichs. Sie hätte zwar lieber eine Schiffsreise unternommen, fügte sich aber.

Bellamy ist offenbar ein Workaholic, denn auch in seinen Ferien stößt er auf einen Fall, der ihn interessiert und immer neugieriger macht. Um Emile Leullet handelt es sich, der einen Versicherungsbetrug begeht, indem er sich als tot ausgibt, in Wirklichkeit jedoch den Penner Denis Leprince mit dem Auto in den Tod fahren lässt und als Noël Gentil ein neues Leben beginnen will. Er hält seinen Plan aber nicht durch und ersucht Bellamy um Rat, zumal er auch mit seiner Frau erhebliche Schwierigkeiten hat, weil er sich eine Geliebte, Nadia, hält.

Das ist nicht alles. Zu den Bellamys kommt Pauls Halbbruder Jacques zu Besuch. Der ist ein heruntergekommener Typ, lässt nicht vom Alkohol, war offenbar in Haft, ist mit Paul in einer Hassliebe verbunden – und wird auch nicht mehr sehr lange leben, genau so wenig wie Leullets Frau und der Obdachlose Leprince.

Chabrol hat wieder zugeschlagen. Seit über 50 Jahren ist er am Werk, 56 Filme hat er abgeliefert, sehr gute, gute und weniger gute.

Hier verwebt er auf geschickte Weise ein halbes Dutzend menschlicher Schicksale, wie immer mit kriminalistischem Einschlag. Zu beanstanden gibt es da ganz und gar nichts, die Geschichte ist interessant, und sie wird raffiniert und routiniert erzählt. Ein typischer Chabrol, einer von den guten.

Schon lange, berichtet der Regisseur, habe er mit Gérard Depardieu arbeiten wollen. Das ist hier in gelungener Weise geschehen. Depardieu mit seiner Präsenz braucht nur kleine, nuancierte Gesten, um zu sagen, was er zu sagen und darzustellen hat. Ihm in seiner Rolle als Kommissar Bellamy zuzusehen ist ein Genuss.

Thomas Engel