Kommunion

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Einen ungewöhnlichen, nahen, manchmal auch unangenehm nahen Dokumentarfilm hat die junge polnische Regisseurin Anna Zamecka mit ihrem Debüt „Kommunion“ gedreht. Kurz und intensiv ist der Film, der in klassischer Direct Cinema Manier einen autistischen Jungen, seine Schwester und ihren Vater beobachtet, die in einer Sozialwohnung unter beengten Verhältnissen leben.

Webseite: peripherfilm.de

Dokumentation
Polen 2016
Regie & Buch: Anna Zamecka
Länge: 75 Minuten
Verleih: peripher
Kinostart: 4. Mai 2017

FILMKRITIK:

Es überrascht nicht zu lesen, dass die polnische Regisseurin Anna Zamecke neben Film und Journalismus auch Anthropologie studiert hat. Denn ihr Debüt „Kommunion“ ist eine zurückgenommene Dokumentation im Stile des Direct Cinemas, die den subjektiven Blick des Autors so weit es geht durch eine möglichst objektiven, eben anthropologischen, ersetzt. Subjekt von Zamecke ist dabei eine polnische Familie, die offenbar in einer kleineren Stadt oder Ortschaft lebt, genaueres erfährt man nicht, wie auch manches andere offen und auch rätselhaft bleibt.
 
Die 14jährige Ola kümmert sich um ihren etwas jüngeren Bruder Nikodem, der Autist ist. Sie hilft ihm zu Hause, in der Schule, nicht zuletzt aber beim Lernen für die anstehende Kommunion, bei der Nikodem sein Wissen über Gott und die Bibel in einer für ihn besonders schwierigen Prüfung zeigen muss. Das Verhältnis der Geschwister ist das Zentrum des Films, eine Beziehung, die aus der Not geboren zu sein scheint, nur selten durch Zärtlichkeit geprägt ist, oft dagegen durch Unwillen, durch Zwang. Zunehmend, so scheint es, sieht sich Ola durch die Bedürfnisse ihres Bruders in ihrem eigenen Leben beschränkt, statt mit ihren Freundinnen zusammen zu sein, muss sie sich um den Bruder kümmern, denn die Eltern sind mehr oder weniger abwesend. Der Vater lebt zwar bei seinen Kindern, trinkt jedoch und schafft es nicht, sich um irgendetwas zu kümmern. Die Mutter wiederum lebt nicht zu Hause, scheint - so lassen es Telefonate vermuten - in einer Bar zu arbeiten, kommt nach gut zwei Dritteln des Films mit einem Baby nach Hause und verlässt die Familie wieder.
 
Die künstlerische Entscheidung, vollständig auf Kommentare, Interviews oder Einblendungen zu verzichten, lässt manche Lücke entstehen, die man einerseits gerne gefüllt gesehen hätte, die diesem Familienporträt andererseits auch universelle Qualitäten geben. Besuche von Sozialarbeitern, Schulunterricht, Reibereien zu Hause, schließlich die Kommunion: Eigentlich ein nicht ungewöhnliches Leben, dass Zamecke mit erstaunlicher Nähe begleitet. Lange muss die Regisseurin bei der Familie verbracht haben, so natürlich und unbefangen bewegen sich alle Beteiligten vor der Kamera, halten sich nicht zurück, ignorieren die Kamera bzw. scheinen sie als weiteres Familienmitglied zu betrachten, zu dem man auch mal spricht.
 
Große Nähe wird dadurch erzeugt, die bisweilen auch wie ein voyeuristischer Einblick in privateste Momente wirkt, die aus guten Gründen normalerweise nicht vor der Kamera passieren. Insofern war Zamecke bei ihrem Versuch einer anthropologischen Studie fraglos erfolgreich, zumal es ihr gelingt, auf alle Protagonisten einen vielschichtigen Blick zu werfen. Niemand ist hier ein Held, alle vier Familienmitglieder haben Stärken und Schwächen, jeder Wertung entzieht sich die Regisseurin dabei konsequent. Nicht leicht anzusehen ist „Kommunion“ in Momenten, aber gerade dadurch so dicht und intensiv.
 
Michael Meyns