Kontinental ’25

Ein Nebenwerk ist dies „nur“, ein kleiner, roher Film, den der rumänische Regisseur Radu Jude unmittelbar nach einem größeren Projekt realisierte. Doch auch wenn „Kontinental 25“ nicht so experimentell und avantgardistisch wirkt, wie man es von einem der interessantesten zeitgenössischen Regisseure kennt, voller Ideen, kultureller Verweisen und pointierter Szenen steckt auch dieser, nur scheinbar kleine Film.

 

Über den Film

Originaltitel

Kontinental ’25

Deutscher Titel

Kontinental ’25

Produktionsland

RUM, SUI, LUX, BRA, UK

Filmdauer

109 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Jude, Radu

Verleih

Grandfilm GmbH

Starttermin

09.10.2025

 

In Cluj, der Hauptstadt der rumänischen Region Transsylvanien arbeitet Orsolya (Eszter Tompa) für die Stadtverwaltung. In dieser Funktion überbringt sie Ion (Gabriel Spahiu) eine Räumungsklage, denn das Haus, in dessen Keller sich der Mann ein improvisiertes zu Hause eingerichtet hat, soll abgerissen werden, um einem Hotelneubau zu weichen.

20 Minuten gibt Orsolya Ion zum Packen seines wenigen Hab und Guts, doch als sie und ihre Helfer zurückkommen, hat sich Ion mit einem Kleiderbügel an der Heizung aufgehängt. Bestürzt über seinen Tod beginnt Orsolya an sich und ihrer Arbeit zu zweifeln, zumindest ein Bisschen.

Sowohl ihr Boss, als auch ihr Mann, später auch ein Priester, versichern ihr, dass sie keine Schuld trägt, dass man da nichts machen könne, dass es das Beste wäre, zur Tagesordnung zurückzukehren. Ganz so einfach will es sich Orsolya jedoch nicht machen: Per App spendet sie ein paar Euro für Notleidende in der Ukraine und Gaza, ein vernünftiges Grab für Ion versucht sie zu organisieren, auf den Urlaub mit Mann und Kindern verzichtet sie. An den Zuständen etwas zu ändern, das kann sie jedoch nicht.

Zu Beginn seiner Karriere drehte Radu Jude klassische Filme wie „Aferim“ oder „Scarred Hearts – Vernarbte Herzen“, doch erst mit dem vor sieben Jahren entstandenem „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“, fand er zu der filmischen Form, die ihn inzwischen zu einer der interessantesten Stimmen des zeitgenössischen Kinos macht. Mit einer ganz eigenen Mischung aus narrativer Erzählung, experimentellen, essayistischen Momenten, gepaart mit beißendem Humor, der soziale und gesellschaftliche Missstände aufzeigt, feiert Jude seitdem Erfolge, sein größter der Gewinn des Goldenen Bären mit „Bad Luck Banging or Loony Porn.“

Immer wieder beschäftigte sich Jude dabei mit der Geschichte seines Landes, mit Mythen und verklärten Erzählungen, aber auch dem Gefühl, dass die Vergangenheit im Rausch des Kapitalismus, der Gentrifizierung, immer mehr in Vergessenheit zu geraten droht. Nachdem er im letzten Jahr in Cluj eine aufwändige, absurde Variation des Dracula-Stoffs gedreht hatte, entstand in kaum zwei Wochen Drehzeit, mit geringsten Mitteln, in Improvisation und gedreht auf dem iPhone „Kontinental 25.“

Die spontane Genese führt zu einer narrativen klaren, stringenten Form, die in losen Szenen Orsolya dabei beobachtet, wie sie mit dem Tod Ions umgeht. Bzw. es zumindest versucht, denn Interesse löst der Tod eines in Armut lebenden Mannes nicht aus. Erst als sie zufällig den Fahrradkurier Fred (Adonis Tanta) trifft, ändert sich dies, spitzt Jude die Situation zu. Denn Fred stellt sich als ehemaliger Student von Orsolya heraus, die einst Jura unterrichtete, bevor sie – des Geldes wegen – in die freie Wirtschaft wechselte. Fred dagegen hat nach erfolgreichem Studium darauf verzichtet, dem Ruf des Geldes zu folgen, schlägt sich stattdessen mit einem jener Jobs rum, die ansonsten eher schlecht bezahlte Migranten erledigen.

Ist er deswegen jedoch moralisch integrer als Orsolya , scheint Jude zu fragen. Die Antwort fällt zwiespältig aus, denn in der modernen rumänischen Gesellschaft, so wie Jude sie seit Jahren schildert und unbarmherzig seziert, scheint es kaum möglich, nicht korrumpiert zu werden. So leben auch Orsolya und ihre Familie in einem schmucken Neubau am Rande der Stadt, einem Zeichen für die zunehmende Gentrifizierung, als deren sichtbarste Merkmale immer wieder betont langweilige Investorenarchitektur zu sehen ist.

Am Ende, wenn Orsolya quasi von einem Priester die Absolution erteilt wurde, ist der Tod Ions fast schon vergessen, läuft das Leben weiter seinen zynischen Gang. Man darf gespannt sein, wie Jude in seinem Dracula-Film die Metapher des Blutsaugers auf den modernen Kapitalismus anwendet und die Themen, die auch in „Kontinental 25“ mitschwingen, variiert.

 

Michael Meyns

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