Korankinder

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Ein spannender Blick hinter die Kulissen der Madrasas Bangladeshs – der weit verbreiteten Koranschulen, die allzu oft als Schulen des Terrors bezeichnet werden – gelingt Shaleen Dill-Riaz in seinem neuen Film. Erneut überzeugt der in Bangladesh geborene, in Deutschland ausgebildete Regisseur durch seine hervorragenden Bilder, vor allem aber durch seine Fähigkeit zu beobachten und mittels eines zurückhaltenden Kommentars unterschwellige Fragen zu stellen.

Bangladesh/ Deutschland 2008 - Dokumentation
Regie und Buch: Shaleen Dill-Riaz
Länge: 86 Minuten, Format: 1:1,85
(ZDF-Das kleine Fernsehspiel-Koproduktion)
Verleih: Mayalok Filmverleih
Kinostart: 4.6.2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ein erschreckendes Bild: Reihen von Kinder, manche kaum älter als fünf oder sechs Jahre, die in langen Reihen auf dem Boden hocken, Koranverse murmeln und sich dabei rhythmisch, monoton fast, vor und zurück bewegen. Alle 6234 Verse des Korans sollen sie auswendig lernen, dann dürfen sie sich „Hafiz“ nennen und als Koranlehrer arbeiten oder für andere Leute Koransuren aufsagen und ihnen damit das Wohlwollen Allahs sichern. Besonders Kinder aus der Unterschicht werden in die kostenlosen Schulen geschickt und in Bangladesh, einem der ärmsten Länder der Welt, zählt fast die gesamte Bevölkerung zur Unterschicht. Immer mehr dieser Schulen, Madrasa genannt, entstanden in den letzten Jahren und wurden im Westen besonders nach dem elften September zum Inbegriff des extremen Islamismus.

Auch Shaleen Dill-Riaz wunderte sich bei einem Besuch in seiner Heimat über die zunehmende Zahl religiöser Pilger, die sich alljährlich in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs versammeln. Das Jahrestreffen der Missionsgemeinschaft Tablighi Jamaat, nach Mekka das größte Pilgertreffen der islamischen Welt, war Ausgangspunkt für diesen Film. Ein Freund der Famile – Dill Riaz zählt sich und seine Eltern zu den circa fünf Prozent der oberen Mittelschicht – verschaffte ihm Zugang zu den gewöhnlich verschlossenen Mauern der Koranschulen. Auch hier gilt das Bilderverbot des Islam, streng durchgesetzt, obwohl es sich nicht aus dem Koran selbst ableiten lässt. Verschiedene dieser Schulen besucht er, in allen das gleiche Bild: Reihen von jungen Schülern, die stoisch den Koran auswendig lernen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Zum einen weil die Sprache des Korans arabisch ist, die Bangladeshs Bengali, zum anderen weil es hier nicht um ein verstehen oder gar ein interpretieren geht, sondern um stures Auswendiglernen.

Frontalunterricht ist nichts dagegen und doch ist es für diese Kinder eine der wenigen Möglichkeiten, ein Auskommen zu finden. Und darin ist nicht zuletzt die wohlhabendere Mittelschicht schuld. Einerseits stehen sie der zunehmenden Bedeutung der Religionsschulen und ihres reduzierten Kurrikulums skeptisch gegenüber, andererseits bedienen sich auch sie, die sich selbst für aufgeklärt halten, den Diensten der Hafiz. Wenn man selbst keine Zeit hat, Koranverse vorzutragen, beauftragt man damit einen Hafiz, der im Namen der Familie dann ausgewählte Suren liest. Auch Dill-Riaz Eltern handeln so, was der Regisseur nicht verschweigt. Unterschwellig klagt er damit auch die heuchlerische Haltung dieser Schicht an, die sich nur selten offen über die Koranschulen äußert.

Auch Dill-Riaz ist mit seiner Kritik vorsichtig, aber gerade darin liegt eine der Stärken seines Films. Er braucht keine beredte Anklage, keine laute Kritik an den Verhältnissen. (Die ganz nebenbei aufschlussreiche Ähnlichkeiten zum orthodoxen Judentum offenbaren, in dem ebenfalls oft Rabbis mit dem Beten beauftragt werden und das rhythmische Verbeugen beim Gebet offensichtliche Parallelen zum auf und ab der lernenden Kinder hat.) Seine Bilder, zurückhaltend und präzise, wie man das inzwischen von Dill-Riaz gewohnt ist, sprechen für sich.

Michael Meyns

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