La vida loca – Die Todesgang

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Auf den Spuren von Straßengangs in El Salvador: Der Filmemacher Christian Poveda begleitet die Mitglieder der „Mara 18“ auf Schritt und Tritt, zeigt ihren Alltag und ihre Bräuche. Der bittere Realismus verzichtet dabei auf Helden – denn fast alle Charaktere werden im Laufe der Dokumentation umgebracht.

Webseite: www.lafemme-endormie.com/vidaloca

OT: La vida loca
El Salvador/Frankreich 2008
Regie: Christian Poveda
Länge: 90 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 15.1.2010
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Das Todesopfer liegt von Kugeln durchsiebt auf dem schmalen Gang eines Hinterhofs. Die Polizeibeamten stülpen gelangweilt ein paar schwarze Müllsäcke über den leblosen Körper und schmeißen ihn wie einen verfaulten Rinderkadaver auf die Ladefläche ihres Pick-Up-Trucks. Kleine Kinder stehen lächeln daneben, schauen kurz und widmen sich dann doch lieber ihrem Fußball. Das Auto mit der Leiche braust davon – ein gewöhnlicher Tag in Soyapango, einer Vorstadt von San Salvador.

Die Dokumentation des Franzosen Christian Poveda ist kein Gangfilm wie „City of God“. Die von ihm beschriebene Gewalt ist roh, von unfassbarer Brutalität, ohne Hoffnung auf ein Ende. Es gibt keine Helden oder Antihelden, keine vermeintlich coolen Gangster oder eine Ästhetisierung des Milieus, in der Bandenmitglieder zu starken Pistoleros verklärt werden. „La vida loca“ ist ein Film, in dem es nur Verlierer gibt und keine moralischen Gewinner.

Christian Poveda arbeitete drei Jahre an seinem Film über die „Mara 18“, eine der brutalsten Gangs in Lateinamerika, die sich an den berüchtigten Gangs von Los Angeles orientiert. Die Mitglieder tragen als Zugehörigkeit zahlreiche Tätowierungen auf ihren Körpern, manche sogar im Gesicht. Sie sind mit einer anderen lokalen Mara-Bande, der „MS“, verfeindet, und es gilt das Gesetz der Blutrache. Ein Opfer fordert automatisch das nächste – und davon gibt es viele in diesem Film.

20 Jahre nach dem Bürgerkrieg in El Salvador herrscht ein neuer Terror in den Vororten, doch zur Überraschung betreibt Regisseur Poveda keine Ursachenforschung. Wo und wie der Konflikt seinen Anfang genommen hat, wissen wahrscheinlich nicht einmal die ältesten Gangmitglieder, von denen kaum einer über 30 Jahre alt ist. So konzentriert sich die Dokumentation auf die Rituale und Bräuche, die Poveda bei Beerdigungen, Geburtstagen, Feiern und Prügeleien einfängt. Erst wer sich einmal richtig vermöbeln lässt und danach noch aufrecht steht, zeigt, dass er das Zeug hat, um ein „Mara 18“-Mitglied zu werden. Ein übliches Aufnahmekriterium unter kriminellen Banden. Die von der Gang propagierten Tugenden wie Brüderlichkeit, Zusammenhalt und Menschenliebe kontrastieren dabei den gewaltsamen Alltag: „Wie können Sie Humanismus predigen, wenn sie sich ständig gegenseitig umbringen?“, fragt die Richterin einen inhaftierten „Mara 18“ während seines Resozialisierungsprogramms.

Es ist ein ernüchternder Film: Junge Männer und Frauen (manche von ihnen mit Kindern), die von Poveda vorgestellt werden, sind nach kurzer Zeit tot. Er zeigt ihre leblosen Körper im Leichenschauhaus mitsamt der Einschusslöcher, während die Bestatter müde seufzen. Der Drang nach der Wahrheit und dem ungeschönten Realismus in seinen Bildern wurde dem Regisseur selbst zum Verhängnis: Im September 2009 wurde er von einer Jugendbande in El Salvador auf offener Straße überfallen und ermordet. Sein Vermächtnis wirft einen bitteren und authentischen Blick hinein in die Bandenkonflikte, die auch dieser Film – so bitter es auch klingt – nicht lösen kann.

David Siems

San Salvador. In den Außenvierteln der Hauptstadt wüten Banden, die den Menschen und sich selbst das Leben schwer machen. Vor allem die MS (Mara Salvatrucha) und die „18“ sind sich spinnefeind. Ihre Mitglieder bekriegen sich auf Leben und Tod. Ein Ende ist nicht abzusehen. Zu viele sind schon getötet worden. Allein in diesem Dokumentarfilm wohnt man der echten und keineswegs nachgestellten Beerdigung von vier oder fünf Ermordeten bei.

Es ist ein Teufelskreis: Armut, Aussichtslosigkeit, Hass, Mord, Vergeltung, Drogenabhängigkeit – und unbedingte Machterhaltung.

Auch Frauen, die meisten tätowiert, und Kinder gehören den Gangs an. Es werden Versuche unternommen, aus dem Elend herauszufinden, hier beispielsweise durch den Aufbau einer Bäckerei, deren Produkte verkauft und teilweise verschenkt werden.

Aber immer wieder wird ein solcher Kreislauf durchbrochen. Denn die Polizei ist misstrauisch. Verhaftungen und Gefängnisurteile sind an der Tagesordnung. Das Verhältnis zwischen den Banden und den Sicherheitskräften sowie der Justiz ist über den Hass noch nicht hinausgekommen.

Einige Personen, Lebensbilder und Schicksale werden in diesem Film besonders herausgestellt und beobachtet.

Die Bandenmitglieder halten zusammen wie Pech und Schwefel. Sie haben und feiern ihre ganz eigenen Rituale. Die Abkehr von der normalen Gesellschaft und der Fanatismus der Gangs sind grenzenlos.

Über ein Jahr hat der französische Regisseur Christian Poveda – im September 2009 wurde er selbst getötet – am Beispiel der Gang „18“ diese schlimmen und traurigen Geschehnisse dokumentiert. Es ist ein eindrucksvoller, wahrhaftiger, grausamer Film geworden. Ein grausiger Blick auf einen Teil unserer Gesellschaft und unserer Welt. Vielleicht dient er der Abschreckung.

Jedenfalls ist es auch das Vermächtnis eines der intensiven Ausübung seines Berufes zum Opfer gefallenen Künstlers.

Thomas Engel