Late Bloomers

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Alt werden ist bekanntlich nichts für Feiglinge. Mit diesem Umstand sehen sich Adam und Mary konfrontiert, ein Paar, das auf die 60 zugeht und die Zeichen der Zeit erkennen muss, nicht nur im Spiegel. Der neue Lebensabschnitt, der vor ihnen liegt, irritiert die beiden. Viel Mut verlangt Regisseurin Julie Gavras ihrem Film-Paar allerdings nicht ab. Die Probleme, die die beiden angehenden Senioren zu meistern haben, sind so überschaubar wie der Erkenntnisgewinn dieser leichtgewichtigen Komödie.

Webseite: www.movienetfilm.de

Frankreich 2011
Regie: Julie Gavras
Buch: Olivier Dazat, Julie Gavras
Kamera: Nathalie Durand
Darsteller: Isabella Rossellini, William Hurt, Doreen Mantle, Kate Ashfield, Aidan McArdle
Länge: 95 Minuten
Verleih: Movienet
Kinostart: 6. September 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Das Leben hat es gut gemeint mit Adam und Mary. Er ist ein erfolgreicher Architekt, sie eine ehemalige Lehrerin, die sich vor allem um die Familie kümmert. Das Paar ist seit 30 Jahren verheiratet und kann sich ein angenehmes Leben in London leisten. So könnte es immer weitergehen, doch beide merken, dass sich schleichend etwas verändert. Mary bereitet ihre Vergesslichkeit Sorgen, Adam nimmt einen Preis für sein Lebenswerk mit gemischten Gefühlen entgegen. Er fragt sich, ob so eine Auszeichnung auch bedeutet, dass die Zukunft hinter ihm liegt. Außerdem steht Marys 60. Geburtstag an, und beide fühlen, dass sie langsam aber sicher zu den Alten gehören. Kein schöner Gedanke, vor allem aber fehlt dem Paar ein Kompass, der den Weg weist in diesen Lebensabschnitt. So rudern Mary und Adam aufs Geratewohl los und entfernen sich dabei immer weiter voneinander.

„Late Bloomers“ nennt Julie Gavras ihren Film über die Chance des späten Erblühens und später Erfüllung. Sie sieht das Altern als Reifeprüfung, die den Menschen abverlangt, sich von bestimmten Dingen zu lösen und sich neue Aufgaben und Ziele zu suchen. Das ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen. Und „Late Bloomers“ hilft einem da nicht weiter. Denn die Welt, die Gavras für ihr Film-Paar entwirft, ist ziemlich heile und die Herausforderungen sind gering dosiert. Die Regisseurin vermeidet alles, was tieferes Unbehagen auslösen könnte. Deshalb kommt beim Zuschauer an: Die Probleme, die Adam und Mary haben, hätte man auch gern im Alter. Denn die beiden sind hervorragend gerüstet. Sie sind gesund und materiell abgesichert, sie leben in einer intakten Familie, haben Freunde und sind sich als Paar herzlich zugetan. Mag sein, dass es für das weibliche Ego schmerzhaft ist, von einem bestimmten Alter an für Männer unsichtbar zu sein. Aber diese unschöne Erkenntnis wischt Gavras schnell weg, indem sie Mary einen Flirt mit einem jüngeren Mann gönnt. Auf der anderen Seite sieht’s genauso aus. Adam kämpft mit seinem Verlust an Attraktivität, kauft sich eine Lederjacke und beginnt eine Affäre mit einer jungen Mitarbeiterin. Krankheiten, Verluste, das Ende des Arbeitslebens und andere alterstypische Erscheinungen kommen in dieser Welt nicht vor. Stattdessen schwelgt man in Luxus-Problemen.

Manche Drehbucheinfälle sind plakativ oder abwegig. Mary kauft ein Telefon mit großen Tasten, obwohl es ihr und ihrem Mann an Sehkraft nicht mangelt. Sie lässt Haltegriffe in der Badewanne installieren, obwohl sie beide gut zu Fuß sind, und sie schafft ein verstellbares Bett an, obwohl sie und ihr Mann im Bett eine geschmeidige Beweglichkeit demonstrieren. Alles mäßig lustig und vor allem sinnfrei. Ein Griff in die Mottenkiste ist die Idee, Mary Wassergymnastik treiben zu lassen und sie zum Kekse backen in einen Wohltätigkeitsverein zu schicken. Als ob das gesellschaftliche Phänomen der „jungen Alten“ und deren neuer Lebensentwürfe an ihr vorbeigegangen ist, inszeniert Gavras hier Rentner-Tipps von vorgestern.

So trudelt „Late Bloomers“ vorhersehbar und ohne tiefergehende Einsichten seinem Happyend entgegen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es nicht die beiden Hauptdarsteller gäbe. Isabella Rossellini und William Hurt, zwei altgediente Spitzenkräfte im Filmgeschäft, kämpfen sich mühsam durch die oft uninspirierten Dialoge und können nur selten ihre Schauspielkunst aufblitzen lassen. Ihnen kann man nur schönere Altersrollen wünschen.

Volker Mazassek

Die Menschen werden älter – zumindest im Westen. Höchste Zeit, sich mit dem Thema zu befassen. Michael Haneke hat vor kurzem mit seinem berührenden Drama „Liebe“, in dem es ums Altwerden geht, in Cannes die Goldene Palme erhalten.

Ums Älterwerden geht es auch in diesem Film. „Sie blühen noch spät“ könnte man den Originaltitel interpretieren.

Mary und Adam sind seit Jahrzehnten verheiratet. Sohn und Tochter sind längst aus dem Haus. Gehören sie nun zu den „Best Ages“? Langsam werden sie sich dessen bewusst. Mary wehrt sich nicht. Sie nimmt es hin, richtet ganz einfach beispielsweise das Bad der beiden mit den für eine eventuelle Gebrechlichkeit nötigen Vorrichtungen aus. Sie möchte aber auch Adam überzeugen.

Der allerdings denkt nicht an so etwas. Er war sein ganzes Leben Architekt, sagt, er habe immer die Gebäude übernommen, die andere nicht bauen wollten. Obwohl im Rentenalter steht er jetzt bei neuen Aufträgen vor der Wahl: Museum oder Altersheim? Für ihn ist schnell klar: Museum. Er tut sich mit jungen Leuten zusammen.

Die Differenzen zwischen Adam und Mary sind allerdings so groß geworden, dass aus der vorläufigen Trennung beinahe eine endgültige wird.

Eine menschliche Allerweltssituation, aber eine, die immer aktueller und spruchreifer wird. Das Gute an dem Streifen ist, dass er sich natürlich und realistisch, nicht überdramatisch gibt. Das macht ihn überzeugend. Eine Frau hat ihn gedreht – mit viel richtigem Gefühl. Filmisch scheint alles soweit in Ordnung.

Das große Plus. Die beiden Hauptdarsteller. Seit langem ist William Hurt wieder einmal zu sehen. Er agiert wie eh und je wirklichkeitsnah und souverän.

Seine Mary ist Isabella Rosselini, ebenfalls ein Glücksfall. Sie kehrt nicht den Star hervor, sondern im guten Sinn die gewöhnliche ältere Dame – natürlich nur in der Rolle -, die sich dem Unabwendbaren stellt und die sich um ihren eigensinnigen Adam kümmert.

Ein sehenswertes Paar.

Thomas Engel