Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes (Gaby Sikorski)

Das intellektuelle Kammerspiel unter der Regie von Edgar Reitz („Heimat“) erzählt nicht nur die Entstehungsgeschichte eines Gemäldes: ein Porträt von Leibniz im Auftrag der preußischen Königin Sophie Charlotte, sondern vor allem erzählt es von der Suche nach der Wahrheit – und vom Unterschied zwischen Licht und Erleuchtung. Es geht also um Philosophie, aber die Diskussion darüber ist zum einen sehr greifbar, nahezu bodenständig, und zum anderen gibt es immer wieder Bezüge zu aktuellen Themen und nicht zuletzt zum Filmemachen.

 

Über den Film

Originaltitel

Leibniz

Deutscher Titel

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Produktionsland

DEU

Filmdauer

104 min

Produktionsjahr

2025

Produzent

Fliess, Ingo / Reitz, Christian

Regisseur

Reitz, Edgar / Schuster, Anatol (Co-Regie)

Verleih

Weltkino Filmverleih GmbH

Starttermin

18.09.2025

 

Ob das Porträt von Gottfried Leibniz jemals existiert hat, das die preußische Königin Sophie Charlotte im Film in Auftrag gab, um ihren geliebten Lehrer und Berater zumindest als Bild immer um sich zu haben, darf bezweifelt werden. Aber es ist ein hübsches Gedankenspiel, eines von vielen in diesem Film, der unterhaltsam ist und zu großen Teilen sogar Spaß macht, obwohl die Eröffnung eher spröde ist: Die Königin (Antonia Bill) tritt der Kamera entgegen, vermutlich spricht sie einen Brief an ihre Mutter, und wünscht sich das Porträt. Doch glücklicherweise bleibt es bei diesem einen, relativ theatralen Rezitativ, denn danach geht es gleich richtig los: Lars Eidinger spielt den Kunstmaler Delalandre, der den Auftrag ergattert hat – ein geschäftiger und geschäftstüchtiger Künstler, der sich als bestens vorbereitet präsentiert, der ideale Porträtist sozusagen. Er kennt seine adlige Kundschaft oder glaubt sie zu kennen, macht nicht viel Gewese um die Malerei und hat sogar schon die Rohfassung des geplanten Kunstwerks dabei, nur das Gesicht muss noch hineingemalt werden. Schnell wird klar, dass Leibniz, der feinsinnige Philosoph, und der vielbeschäftigte Hofmaler nicht zusammenpassen. Lars Eidinger spielt diese Karikatur eines gleichzeitig beflissenen und widerständigen Künstlers mit sichtbarem Vergnügen. Im nächsten Versuch tritt eine Frau an, die sich zunächst als Mann ausgibt: die niederländische Malerin Aaltje van de Meer (Aenne Schwarz), eine große Verehrerin der Kunst ihrer Landsleute. Sie malt auf schwarzem Grund – denn alles Licht würde aus dem Dunkel entstehen, siehe Rembrandt. Leibniz ist ziemlich angetan von Aaltjes Arbeitsweise, und von ihren Experimenten mit Beleuchtung, Licht und Schatten, und nicht nur das: Während Leibniz für das Porträt Modell sitzt, offenbaren sich in ihren Gesprächen immer stärker die Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihres Denkens, und es entsteht ein echter Diskurs – eine Auseinandersetzung in Augenhöhe zwischen zwei gleichwertigen Beteiligten. Schließlich hilft Leibniz sogar beim Anrühren und Aufbewahren der frisch gemischten Farben. Kurz bevor das Gemälde fertiggestellt ist, reist Sophie Charlotte an. Sie freut sich darauf, ihre Mutter und Leibniz zu treffen, doch der Besuch wird durch ihre schwere Krankheit überschattet …

Edgar Reitz, der Schöpfer der legendären deutschen Chronik „Heimat“, hat gemeinsam mit seinem Co-Regisseur Anatol Schuster eine teils augenzwinkernde, teils auch dramatische Parabel auf die deutsche Wirklichkeit geschaffen. Mittlerweile ist Edgar Reitz, einer der letzten Überlebenden des legendären Oberhausener Manifests („Papas Kino ist tot“), zwar bereits über 90 Jahre alt, aber noch immer aktiv. Und wie es scheint, hat er nichts von seinem Biss verloren, aber auch nichts von seinem kritischen Blick auf die Gegenwart. Mehr oder weniger unauffällige Anspielungen zu vielen aktuellen Themen liefert das Drehbuch von Edgar Reitz und Gert Heidenreich, das zwar Leibniz als Persönlichkeit in den Vordergrund stellt, und zwar in allen seinen Facetten – auch in den Fehlschlägen, ihn aber keinesfalls auf ein Podest stellt.

Edgar Selge, der wenig bis gar nichts von der leicht bräsigen Gemütlichkeit hat, die der Philosoph und Universalgelehrte auf seinen überlieferten Porträts transportiert, zeigt ihn als pfiffigen, wortgewandten Schnelldenker – ein sympathischer Mensch, smart und gewitzt, der sich prinzipiell für alles interessiert und zu allem etwas zu sagen hat. Neben dem schon erwähnten sehr spielfreudigen Lars Eidinger zeigt Aenne Schwarz als Aaltje van de Meer eine reife Leistung als Porträtistin und ebenbürtige Diskussionspartnerin von Leibniz. Dabei wird die Tatsache, dass sie sich zunächst als Mann ausgegeben hat, um den Job zu bekommen, nur kurz thematisiert. Viel wichtiger ist ihre Ernsthaftigkeit und ihr sensibles Kunstverständnis, mit dem sie Leibniz imponiert. In weiteren Rollen sind Barbara Sukowa als hannoversche Landesfürstin Sophie, Mutter von Sophie Charlotte und Gastgeberin von Leibniz, zu sehen sowie Michael Kranz, der Liebfried Cantor spielt, den erfundenen Assistenten von Leibniz, dessen Rolle immer wichtiger wird. Er klärt die Malerin über den Erfinder Leibniz auf, der nicht nur das Prinzip der Sozialversicherung, sondern auch die Luftmatratze, das U-Boot und sogar den Computer in Grundzügen entwickelt hat. Es gibt also auch eine Menge zu lernen über den Geist des Spätbarock, der in die Zeit der Aufklärung mündete. – Die kleine Portion bildungsbürgerliche Wissensvermittlung passt hier ganz gut, ebenso ein kaum verhüllter didaktischer Ansatz. Obwohl die Erstellung des Gemäldes den chronologischen Rahmen bildet, folgt der Film keiner klaren, traditionellen Dramaturgie. Es gibt keine Höhe- oder Wendepunkte, keine Krisen und keine Entwicklungen, so dass sich der Film mit Fug und Recht auch als reines Konversationsstück bezeichnen ließe. Das liegt aber natürlich auch am Sujet, denn hier wurde praktisch alles erfunden: die Malerin und der Maler und das Gemälde an sich. Aber was ist eigentlich die Wahrheit? Auch mit dieser Frage hat sich Leibniz intensiv beschäftigt. Und manchmal scheinen die Dialoge zwischen den Zeiten zu schweben – sie sind geistvoll, ohne prätentiös zu wirken, und sie tragen nicht nur den Charme der Vergangenheit in sich, sondern auch die Erinnerung an eine Gesprächskultur, die es lohnen würde, wiederbelebt zu werden.

 

Gaby Sikorski

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