Licorice Pizza

Zum Vergrößern klicken

Ist das schon die Midlife Crisis? Oder doch eher eine Form der Gelassenheit, die mit dem Älter werden kommt? Als radikaler Regisseur gestörter Männlichkeit war Paul Thomas Anderson bislang bekannt, sein neunter Spielfilm „Licorice Pizza“ zeigt ihn nun in einem Maße entspannt wie man es nicht gekannt und auch nicht erwartet hat.

Website: https://www.universalpictures.co.uk/micro/licorice-pizza

USA 2021
Regie & Buch: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Alana Haim, Cooper Hoffmann, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper, Benny Safdie, Will Angarola, James Kelley
Länge: 133 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 27.1.2022

FILMKRITIK:

Das San Fernando Valley liegt in einem Talkessel gut 30 Kilometer vom Zentrum Los Angeles entfernt, was es in der weit ausgedehnten Stadt zu einem Vorort macht. Hier wurde 1970 Paul Thomas Anderson geboren, hier lebt er immer noch, hier spielten viele seiner Filme, nicht zuletzt „Boogie Nights“, die Ode an die Pornoindustrie der 70er Jahre, mit der Anderson bekannt wurde.

Radikale, oft verstörende Filme wie „Magnolia“, „There Will Be Blood“ oder „The Master“ etablierten Anderson als einen der originellsten amerikanischen Regisseure der Gegenwart, doch auch der unruhigste Geist kommt irgendwann zur Ruhe. Inzwischen ist Anderson verheiratet und hat drei Kinder, vielleicht auch ein Grund, warum seine Filme, in denen Frauen oft kaum oder nur am Rand vorkamen, inzwischen oft von Beziehungen, der Liebe erzählen. Schon sein letzter Film „Der seidene Faden“ schilderte eine – zugegebenermaßen etwas ungewöhnliche – Liebesgeschichte, sein neuer Film „Licorice Pizza“ führt diese Entwicklung weiter, ja, steigert sie sogar noch.

Unverhohlen sentimental und sonnendurchflutet ist die Welt der frühen 70er Jahre von der Anderson in seinem neunten Film erzählt, lose auf den Erlebnissen von Gary Goetzman basierend, der damals ein angehender Kinderstar war und inzwischen zusammen mit Tom Hanks eine Produktionsfirma betreibt.

In „Licorice Pizza“ wird er von Cooper Hoffmann gespielt, dem Sohn des viel zu jung verstorbenen Philip Seymour Hoffmann. Gerade einmal 15 Jahre alt ist Gary, geht noch zur Schule, hat aber schon erste Erfahrungen beim Film gesammelt. Doch die Pubertät ist gnadenlos, Pickel und Pfunde machen weitere Auftritte vor der Kamera wenig wahrscheinlich und so hat der umtriebige Gary anderes im Sinn: Erst sind es Wasserbetten, die er verkaufen will, später betreibt er einen Spielsalon, man ist schließlich in Amerika, wo jeder seines Glückes Schmied ist.

Was auch für die Liebe gilt und so scheut sich Gary überhaupt nicht, mit Alana (Alana Haim) ins Gespräch zu kommen, die allerdings 25 ist und somit viel zu alt für den Teenager. Dennoch entsteht zwischen dem ungleichen Duo schnell eine große Nähe, die Paul Thomas Anderson in losen Episoden einen Sommer lang beobachtet. Genauer gesagt den Sommer von 1973, als die Ölkrise das Autosüchtige Los Angeles fast lahmlegte, was zu der amüsanten Episode führt, in der der zukünftige Superproduzent Jon Peters (Bradley Cooper) mit weißem Anzug und toupierten Haaren seinen Benzinkanister zu füllen versucht.

Auch sonst tauchen echte oder lose verklausulierte Größen der Filmindustrie auf, meist in wenig positivem Licht, was der Faszination, die die Traumfabrik damals wie heute in vielen jungen und nicht mehr so jungen Menschen auslöst, einen deutlich Spiegel vorhält. Ein Sittenbild entwirft Anderson in „Licorice Pizza“, zeigt beiläufigen Sexismus und Rassismus, Vorurteile gegenüber Minderheiten, Andeutungen von Gewalt, die unter der schönen, glatten Oberfläche sitzt.

In den besten Momenten funktioniert das gleichzeitig als Hommage an eine Ära und einen Ort, die aber gleichzeitig auch andeutet, wie verklärt dieser Blick doch auch ist. Vor allem aber ist „Licorice Pizza“ das, was Anderson Freund und Kollege Quentin Tarantino einmal einen Hang Out-Film genannt hat: Einen Film, mit dem man so gerne Zeit verbringt, wie mit guten Freunden. Ein Film, der nicht durch eine besonders dichte oder gar spannende Handlung besticht, sondern Szenen aneinanderreiht, Figuren beobachtet, skurrile Momente zeigt, die für sich genommen amüsant sind, als Ganzes einen Mikrokosmos entwerfen. Das mag in keinem Moment so ambitioniert wirken wie Andersons frühere Filme, hat aber einen ganz eigenen, sehr entspannten Reiz.

Michael Meyns