Liebe auf den ersten Schlag

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Vielleicht sind in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwei kommende Stars des französischen Kinos zu sehen: Adèle Haenel und Kévin Azaïs spielen mit viel Charme und Sinn für Situationskomik eine taffe Kratzbürste und ihren sanftmütigen Verehrer. Die Geschichte vom Jungen, der sich Hals über Kopf in ein Mädchen verliebt und ihr bis in ein Feriencamp der französischen Armee folgt, führt beide an ihre Grenzen und darüber hinaus.
Thomas Cailley sorgte mit seinem Kinodebüt in Cannes 2014 für Aufsehen und spricht mit seinen tollen Darstellern ein eher jugendliches Publikum an, das sich auch hierzulande möglicherweise ganz unbefangen mit der exotischen Kombination aus Romanze und Militärkomödie anfreundet.

Webseite: www.tiberiusfilm.de

Originaltitel: Les Combattants
Frankreich 2014
Regie: Thomas Cailley
Drehbuch: Thomas Cailley, Claude Le Pape
Darsteller: Kévin Azaïs, Adèle Haenel, Antoine Laurent, Brigitte Roüan, Nicolas Wanczycki, William Lebghil, Frédéric Pellegeay
98 Minuten
Verleih: Tiberius Film, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 2. Juli 2015
 
Preise / Festivals (Auswahl)
Beste Schauspielerin: Adèle Haenel, Film Festival Kairo 2014
C.I.C.A.E.-Preis: Thomas Cailley, Filmfestival Cannes 2014
SACD-Preis: Thomas Cailley, Quinzaine des Réalisateurs, Filmfestival Cannes 2014
Label Europa Cinemas: Thomas Cailley, Filmfestival Cannes 2014
FIPRESCI Preis: Thomas Cailley, Filmfestival Cannes 2014
Beste Schauspielerin: Adèle Haenel, César 2015

FILMKRITIK:

Der junge Arnaud muss, statt den Sommer am Meer zu genießen, gemeinsam mit seinem Bruder im Familienbetrieb arbeiten, denn vor kurzem ist ihr Vater gestorben. Das bedeutet für die beiden: Sie müssen sich schnell in die Familienfirma einarbeiten. Einer ihrer Kunden ist ausgerechnet der Vater eines Mädchens, mit dem Arnaud kürzlich am Strand aneinandergeraten ist. Beinahe hätte er einen Ringkampf gegen sie verloren, wenn er nicht zu unfairen Mitteln gegriffen hätte. Madeleine, so heißt die streitbare Amazone, hat ihn zwar nicht verraten, aber sie hat ihm auch nicht verziehen. Was sie nicht ahnt: Arnaud ist ihr seitdem verfallen und tut nun alles, um in ihrer Nähe zu bleiben. Dabei lernt er Madeleine und ihre außergewöhnlichen Hobbys näher kennen: Sie ist überzeugt davon, dass der Weltuntergang bevorsteht, und hat sich deshalb ein extrem hartes Überlebenstraining auferlegt. Neben Kampfschwimmen mit Gewichten gehört dazu auch der zweifelhafte Genuss von geschredderten rohen Sardinen als Morgendrink. Als Madeleine sich für ein Sommercamp bei der französischen Armee anmeldet, ist Arnaud ebenfalls dabei.
 
Im Camp läuft es für Arnaud und Madeleine suboptimal: Madeleine eckt überall an, weil sie sich den militärischen Zwängen nicht unterwerfen will und unbequeme Fragen stellt, und Arnaud interessiert sich ausschließlich für Madeleine – ansonsten ist ihm der Laden ziemlich egal. Als Madeleine sich entschließt abzuhauen, ist Arnaud natürlich an ihrer Seite. Aber da draußen wartet das echte Leben auf die beiden: die Wildnis mit ihrer Schönheit und mit allen Gefahren.
 
Thomas Cailley lässt seinen jungen Darstellern viele Freiheiten. Besonders schön: Madeleine (Adèle Haenel) darf sich treu bleiben. Aus dem drahtigen weiblichen Energiebündel wird also keine kichernde Tussi, nur weil plötzlich ein Kerl hinter ihr her ist. Sie bleibt klug, frech und kritisch. Die sattsam bekannte Entwicklung vom (angeblich) hässlichen Entlein zum (angeblich) schönen Schwan durch die (angeblich) erfüllende Liebe eines (angeblich) starken Mannes entfällt also. Das ist einer der positivsten Aspekte des Drehbuchs. Auch Arnaud (Kévin Azaïs) bleibt der liebenswerte Schluffi, als den man ihn kennengelernt hat, selbst im militärischen Drill. Seine Stärke erwächst aus dem Glauben an das Gute und aus einem gewissen Laissez-faire. Die beiden sind gemeinsam stark. Madeleine ist die Intellektuelle mit ihren pessimistischen Endzeitfantasien, ihrem provokanten Verhalten und ihren aufmüpfigen Fragen, Arnaud bleibt ein herziger und herzlicher Optimist, wirkt dadurch vielleicht einfacher gestrickt, aber sehr sympathisch.
 
Dass die beiden Jungstars so gut harmonieren, ist wohl auch der sensiblen Regiearbeit zu verdanken und nicht nur der berühmten „Chemie“. Da locken und fliegen die Blicke, es wird provoziert und schockiert. Madeleine fordert Arnaud heraus, sie führt und verführt ihn, aber sie ergibt sich nicht, und er gibt sich ihr nicht hin. Diese angenehm moderne Form einer burschikosen Annäherung wirkt sympathisch und authentisch. Was dagegen für einen merkwürdigen Beigeschmack sorgt, ist der für deutsche Verhältnisse sehr unbefangene Umgang mit dem Militär. Stellenweise ergibt sich der Eindruck, es könnte sich um einen Werbefilm der französischen Armee handeln. Hier wie auch gelegentlich in der Komik zeigen sich deutliche kulturelle Unterschiede, die sich schwer übertragen lassen, die aber auch die Originalität des Buchs beweisen. Am nächsten liegt noch der Vergleich mit „Die Akte Jane“, wo sich eine gute Demi Moore mit einem (geplant) massenkompatiblen Drehbuch herumschlagen musste, und mit den „Höhlenkindern“, eine seinerzeit recht beliebte Geschichte über zwei Teenies, die wie in der Steinzeit leben müssen.

Thomas Cailleys ungewöhnlicher Debütfilm hingegen entzieht sich geschickt allen simplen Genrezuweisungen. Er ist Komödie, Romanze, ein bisschen Militärklamotte und ein bisschen Melodram. Seine Qualitäten bezieht er weniger aus dem Drehbuch als aus guten Bildern, vor allem aber aus den darstellerischen Leistungen der beiden Helden, von denen Adèle Haenel – auch aufgrund ihrer dankbaren Rolle – herausragt. Sie verkörpert die junge Wilde herrlich unbefangen, angenehm uneitel und sehr cool. Dafür gab es 2015 einen César für die beste weibliche Hauptrolle. A star is born!?
 
Gaby Sikorski