Liebe auf den zweiten Blick

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Auch im Herbst des Lebens kann noch die große Liebe vorbeischauen. Mit dieser frohen Botschaft versucht Regisseur Joel Hopkins das ältere Publikum ins Kino zu locken. Es ist gar nicht so schwer, man muss sein Glück nur erkennen, verspricht die arg konventionelle romantische Komödie, die nur die beiden Hauptdarsteller Dustin Hoffman und Emma Thompson funkeln lassen, wenn sie denn mal von der Leine gelassen werden.

Webseite: www.concorde-film.de

OT: Last Chancer Harvey
USA/GB 2008
Buch und Regie: Joel Hopkins
Darsteller: Dustin Hoffman, Emma Thompson, Kathy Baker, James Brolin, Liane Balaban, Eileen Atkins
Länge: 93 Minuten
Verleih: Concorde
Kinostart: 16. April 2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Wenn die Verzweiflung überhand nimmt, fallen alle Hemmungen und die Hoffnungslosen öffnen ihre Herzen auch Fremden. Harvey (Dustin Hoffman) und Kate (Emma Thompson) sitzen in einer trostlosen Bar auf dem Londoner Flughafen Heathrow. Er bestellt einen Drink, sie liest ein Buch, ihre Einsamkeit ist mit Händen zu greifen. Weil sowieso alles egal ist, beginnt Harvey ein Gespräch, das nach Kates Abwehrversuchen langsam Fahrt aufnimmt, weil Harvey nicht locker lässt und seinen trockenen Humor geschickt einsetzt. Es ist eine starke Szene, in der Hoffman und Thompson mit kleinen Gesten und spitzen Sätzen souverän ihr Können ausspielen und das den Anfang von „Liebe auf den zweiten Blick“ hätte markieren können.
 

Bis es zu dieser Begegnung kommt, ist aber schon reichlich Filmzeit verstrichen, in der die missliche Lage der beiden Hauptfiguren in Parallelsträngen erzählt wird und die Handlung unentschlossene Pirouetten dreht. Harvey, der Musik für Werbe-Jingles schreibt, steht kurz vor der Kündigung und ist bei der Hochzeit seiner Tochter mehr geduldet als erwünscht. Kate hat nach einem demütigenden Blind Date ihre trostlose Lage als alternde Single-Frau erkannt und ist dem Telefon-Terror ihrer Mutter ausgeliefert, die wie eine Klette an ihr hängt. Beide stehen an einem Punkt in ihrem Leben, in dem sie befürchten müssen, dass der Zug abgefahren ist und sie zurückbleiben. Warum also nicht etwas wagen? Und so spazieren sie an der Themse entlang, sie kaufen ein Kleid, besuchen das Hochzeitsdinner und erleben die Morgendämmerung in  einem Park. Diese Konstellation hat sich Joel Hopkins bei Richard Linklaters  Schlender-Filmen „Before sunrise“ und „Before sunset“ abgeschaut. Und wenn er sich darauf konzentriert hätte, wäre er besser gefahren. Denn seine beiden Hauptdarsteller verstehen es vorzüglich, das Hin und Her des Liebesspiels dieser beiden verletzten Seelen zu gestalten. Der Part der zögerlichen, scheu liebenden Frau ist Thompsons Paraderolle, wie sie in „Sinn und Sinnlichkeit“ und „Was vom Tage übrig blieb“ bewies. Und gern hätte man länger zugeschaut, welchen Charme Hoffman gut 40 Jahre nach der „Reifeprüfung“ und im fortgeschrittenen Alter von 71 Jahren noch entfalten kann.

Der Film wird jedoch durch überflüssige Nebenhandlungen verwässert und schlingert in der Tonlage zwischen Slapstick und Liebesdrama. Er macht es sich auch allzu leicht mit seinem Thema. Von den besonderen Bedingungen, Einschränkungen und Hemmnissen der Liebe im Alter ist wenig zu sehen. Der Ballast eines langen Lebens, so suggeriert der Film, kann für einen beschwingten Neustart einfach abgeschüttelt werden. Eins aber ist sehr gelungen. Hoffman ist bekanntlich nicht sehr groß, was üblicherweise durch technische Tricks kaschiert wird. Hier aber überragt Thompson Hoffman deutlich und sie darf sogar Schuhe mit Absätzen tragen. Im Alter verlieren manche Eitelkeiten offenbar an Bedeutung.

Volker Mazassek

Harvey hat sich bis jetzt in New York mit Jingle-Kompositonen über Wasser gehalten. Doch so richtig läuft es nicht, er steht möglicherweise sogar kurz vor seiner Entlassung. Zeit, sich um alles zu kümmern hat er jedoch leider nicht, denn er muss nach London zur Hochzeit seiner Tochter Susan. Allerdings wird er da eher geduldet als gern gesehen, denn Susans Mutter, Harveys Ex-Frau, ist längst mit Brian zusammen, von dem sich Susan auch an den Altar führen lassen will.

Harvey nimmt am Vortag der Hochzeit am „Probeessen“ teil, wird aber mehr oder minder ignoriert. Er isoliert sich deshalb bald, will am Hochzeitstag nur noch an der Zeremonie teilnehmen, nicht jedoch an der Feier, und rasch wieder verschwinden.

Er verpasst wegen eines Staus den Flieger. Frustriert geht er in eine Bar. Und wer sitzt dort? Kate, eine Flughafenangestellte, gegenüber der Harvey sich am Vortag nicht gerade nett benommen hatte. Jetzt bietet sich die  Gelegenheit, sich dafür zu entschuldigen.

Kate nimmt die Entschuldigung an, will jedoch sonst von Harvey nichts wissen. Sie hat genug Sorgen: mit ihrer lästigen Mutter, mit ihren verunglückten Blind Dates, mit ihrem Alter, mit ihrer nicht ganz glücklichen Vergangenheit.

Doch Kate hat nicht mit Harveys Hartnäckigkeit gerechnet. Der lädt sie ein, bequatscht sie, überredet sie, lässt sich nicht mehr abwimmeln. Die quicklebendige attraktive Frau gefällt ihm. Außerdem würde sie altersmäßig zu ihm passen, denn so jung ist Harvey nun auch nicht mehr.

Kate überredet Harvey, an der Hochzeitsfeier teilzunehmen. Sie begleitet ihn. Dort hält Susans halbvergessener Vater eine sehr schöne Rede – und lebt plötzlich wieder auf.

Sogar ein Rendez-vous für den nächsten Tag nimmt Kate an. Selbstredend wird Harvey also nicht wie geplant abfliegen. Da muss er ausgerechnet zur Rendez-vous-Zeit kurz ins Krankenhaus. Zur Verabredung erscheint er also nicht. Für Kate ist alles klar. Sie schließt mit dem kurzen Abenteuer ab.

Doch wer nun meint, alles sei vorbei, der kennt Harvey schlecht. Der Rest ist pure Romantik.

Kein großer, formal außergewöhnlicher, tiefgehender Film, aber eine schöne Geschichte, zudem bestens inszeniert. Sie zeigt, beispielsweise, dass Liebesversuche nicht nur bei ganz jungen Menschen einen Sinn und eine Berechtigung haben, sondern dass verlieben und lieben auch bei solchen noch funktioniert, bei denen die Jugend schon eine Zeitlang vorbei ist.

Der größte Trumpf dieses Streifens besteht darin, dass Dustin Hoffman und Emma Thompson die Hauptrollen innehaben.

Thomas Engel