Life in a Day – Ein Tag auf unserer Erde

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Das ganze Leben an einem Tag auf Erden, gefilmt von den Menschen selbst, das ist der Dokumentarfilm „Life in a Day.“ Aus gut 4500 Stunden Material, die am 24. Juli 2010 auf der ganzen Welt aufgenommen wurden, formte Kevin Macdonald einen 95minütigen Film, der phasenweise faszinierende Momente beinhaltet, aber zwiespältige Fragen aufwirft und in erster Linie als Experiment geglückt ist.

Webseite: www.rapideymovies.de

Großbritannien 2010 - Dokumentarfilm
Regie: Kevin Macdonald + ca. 300 you tube-Nutzer
Schnitt: Joe Walker
Musik: Harry Gregson-Williams
Länge: 95 Min.
Verleih: rapid eye movies
Kinostart: 9. Juni 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Es war ein großes soziales Experiment, wie es erst durch die technische Entwicklung der letzten Jahre möglich wurde. Über den Video Clip Kanal you tube wurden Menschen in aller Welt dazu aufgefordert am Samstag, den 24. Juli 2010 Szenen aus ihrem Leben zu filmen und die Clips einzusenden. Die Resonanz überwältigte die Produzenten und so standen sie vor der Aufgabe aus gut 80.000 Clips, die insgesamt etwa 4.500 Stunden lang waren, einen Film zu formen. Und auch wenn es einige thematisch Vorgaben bzw. Vorschläge gab – etwa „Was befindet sich in deiner Tasche?“ Oder „Was ist Liebe? – entschieden sich die Filmemacher für die offensichtlichste vielleicht auch die einzig sinnvolle Möglichkeit und folgten der Struktur eines Tages. Dementsprechend beginnt „Life in a Day“ also in der Nacht auf den 24. Juli, geht über zu Bildern aufwachender, verschlafener Menschen und zeigt jegliche denkbare alltägliche Tätigkeiten. Strukturell erinnert das an berühmte Filme wie Walter Ruttmanns „Berlin – Die Symphonie einer Großstadt“ oder Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“. Und ähnlich wie diese Filme bedient sich auch „Life in a Day“ einer überwältigenden, bisweilen dröhnenden orchestralen Musik, um die oft disparaten Szenen zu verbinden. Im Gegensatz zu den beiden genannten Filmen, die Meisterwerke des dokumentarischen, experimentellen Kinos sind, hinterlässt „Life in a Day“ allerdings einen zwiespältigen Eindruck.

Positiv betrachtet ist „Life in a Day“ ein faszinierendes Experiment, dass die Möglichkeiten der Internettechnologie auf noch nie dagewesene Weise nutzt, teils wunderbare Bilder aus aller Welt vereint, das perfekte Beispiel für ein globales, humanistisches Projekt ist, dass die Menschen aller Länder und Kontinente auf friedliche Weise vereint und einen nie gesehenen Einblick in Lebensweisen fremder Kulturen liefert.

Negativ betrachtet dagegen ist „Life in a Day“ emblematisch für die zunehmende Auflösung regionaler Unterschiede, zeigt eine gleichförmige Welt, in der Menschen aller Lände praktisch identischen Tätigkeiten nachgehen, geprägt von banalen Momenten, die nicht über Heimvideo-Qualität hinausgehen, ist durchzogen von einer gewollten humanistischen Haltung, in der jegliche Divergenz ausgeblendet wird – Sex, Verbrechen, Politik, Gewalt, Kriege, Diktaturen etc. bleiben praktisch komplett außen vor – und so zu einem naiven, extrem westlichen Blick auf die Welt wird.

„Life in a Day“ ist ein Experiment, das so schnell sicher nicht wiederholt wird. Ein Film, der von Internet-Usern gedreht wurde ist er allerdings ebenso wenig wie ein Film, bei dem die ganze Welt teilgenommen hat. Das Ausgangsmaterial stammt zwar von tausenden Menschen, was letztlich ausgesucht wurde (und das ist schließlich nur ein Bruchteil des Verfügbaren) folgt der Ideologie, der Weltsicht der Produzenten. Und auch der Anspruch die ganze Welt zu zeigen wird nicht erfüllt. Zwar werden im Abspann über 300 „Co-Regisseure“ genannt, die breite Masse der Bilder stammt allerdings unverkennbar aus der westlichen Welt. Aus welchen Ländern die einzelnen, teils nur wenige Sekunden langen Clips stammen, wird im Film selbst nicht deutlich, wobei Einblendungen fraglos den Sog der Bilder gestört hätten, der allerdings auch zur Gleichförmigkeit des Gezeigten beiträgt. So bleibt „Life in a Day“ ein vor allem theoretisch interessantes Experiment, das praktisch allerdings einen ambivalenten Eindruck hinterlässt.

Michael Meyns

Ein besonderer Dokumentationsfilm. Von vielen Regisseuren und durch unzählige YouTube-Clips wurde eine Menge Material zusammengetragen, das belegt, was an einem Julitag des Jahres 2010 auf der Erde geschehen ist. Die Bilderlieferanten waren nicht eingeschränkt, vielmehr mussten der Regisseur und der Cutter ein System und einen Modus finden, wie aus über 4000 Stunden Material (81 000 Beiträge) ein einigermaßen verständlicher, logischer und unterhaltsamer 90-Minuten-Film zu machen sei.

Um es vorweg zu nehmen: Die Sache ist im Wesentlichen gelungen. Vielfach ist zu sehen, wie auf allen Kontinenten die Menschen aufstehen, frühstücken, zur Arbeit gehen, ihre Freizeit gestalten, sich lieben, Tränen vergießen, Feste feiern, arm sind (sogar auf einem Friedhof wohnen müssen), reich (und snobistisch) sind – dazu Sonderlinge noch und noch. Man kann nur staunen, was auf unserer Erde alles geschieht.

Tausende von Bildern huschen vorbei. Die Einblicke können amüsant sein oder lehrreich. Vertieft werden konnte bei diesem Vorgehen nichts, jedoch ist vieles interessant und unterhaltend. (Ein paar Datumsabweichungen gibt es auch, doch sie fallen bei dem Gesamtprojekt nicht ins Gewicht.)

Regisseur Kevin MacDonald: „Was wir in unserer eigenen Kultur vielleicht als banal ansehen, ist alles andere als banal für jemanden, der in Dakar aufwächst. Und genau so ist das, was jetzt jemandem in Shanghai banal vorkommt, wahrscheinlich nicht so banal für irgendwen in Colorado . . . Ich denke, dass das Internet eine riesige Metapher für und ein Erzeuger von Verbundenheit ist. Der Film schafft etwas, das ohne das Internet und vor allem ohne YouTube nicht möglich gewesen wäre.“

Ein Kompilationsfilm über die absonderliche Spezies homo sapiens.

Thomas Engel