Gut 150 Jahre, nachdem Louisa May Alcott ihren Roman „Little Women“ veröffentlicht hat, gibt es eine neue Adaption, die mit Spannung erwartet wurde, weil Greta Gerwig, die Queen des Independent-Kinos, nicht nur die Regie führte, sondern auch das Skript verfasst hat. Sie nähert sich der Geschichte um vier junge Frauen sehr behutsam und mit einem unvergleichlichen Gefühl von Nostalgie. Denn Gerwig hat die Struktur des Romans aufgebrochen und arbeitet sehr stark mit Rückblenden, so dass die emotionalen Highlights immer wieder einander gegenübergestellt werden.
USA 2020
Regie& Buch: Greta Gerwig
Darsteller: Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Laura Dern, Meryl Streep
Länge: 134 Minuten
Verleih: Sony
Kinostart: 30. Januar 2020
FILMKRITIK:
Zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs wachsen die March-Schwestern Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Beth (Eliza Scanlen) und Amy (Florence Pugh) in einem Heim auf, in dem man zwar auf den im Krieg weilenden Vater verzichten muss, in dem ihre Mutter Marmee (Laura Dern) sie aber ermutigt, ihren Passionen zu folgen. Meg möchte heiraten und eine Familie haben, Beth kümmert sich aufopferungsvoll um Familie und Nachbarn, Amy möchte eine große Malerin werden und Jo, die von Kindesbeinen an Geschichten geschrieben hat, möchte eine große und berühmte Schriftstellerin werden. Sie will damit auch reich und unabhängig werden, lebt sie doch in einer Zeit, in der Frauen nur wenige Möglichkeiten offenstanden und man von ihnen erwartete, dass sie heiraten.
Eine Szene ist dabei bezeichnend, als die von Meryl Streep gespielte Tante March Amy erklärt, wie das Leben einer Frau aussieht, selbst, wenn sie reich ist. Wählen darf sie sowieso nicht, aber wenn sie heiratet, geht all ihr Besitz auf ihren Mann über. Selbst die gemeinsamen Kinder sind die Seinen, während die Frau von ihm abhängig ist. Diese Szene findet sich im Buch nicht, Streep ermutigte Gerwig jedoch, sie in den Film aufzunehmen, um modernen Zuschauern zu vermitteln, was es damals hieß, eine Frau zu sein.
Gerwig nahm die Anregung dankbar auf und hebt ihre Adaption auch damit von anderen ab. Es ist aber auch die narrative Struktur, mit der sie sich die Geschichte zu eigen macht. Ist der Roman geradlinig erzählt, so startet Gerwig nach dem Krieg, als Jo bereits in New York ist und dort versucht, als Schriftstellerin Fuß zu fassen. In Rückblicken erzählt Gerwig dann immer wieder, wie die Jugend der Mädchen war, wie sie sich verliebten und wie das Schicksal zuschlug. Dieser erzählerische Kniff ist eindrucksvoll, weil er es erlaubt, Ereignisse gegenüberzustellen und so das Maximalmögliche an emotionaler Wirkung herauszuholen.
Die Autorin hat sich dabei nicht nur auf Alcotts Roman, sondern auch auf ihr Leben gestützt, indem sie Jo mehr noch als die Autorin selbst zu deren Alter Ego macht. Auch damit gehen Veränderungen am Quellmaterial einher. So rückt Gerwig die Rolle von Jos späterem Mann deutlich in den Hintergrund und besetzt Friedrich Bhaer jünger als üblich. Eine Entscheidung, die sie damit begründete, dass nicht Friedrich, sondern das Schreiben selbst die vornehmliche Liebe von Jo March sein sollte.
Jo wird von Saoirse Ronan gespielt, die sich praktisch selbst gecastet hat, indem sie ihre „Ladybird“-Regisseurin Gerwig anschrieb, als sie hörte, dass sie „Little Women“ inszeniert und erklärte, sie würde Jo spielen. Gerwig wollte nach ihrem letzten Film nicht die gleiche Schauspielerin besetzen, empfand Ronans freches Auftreten aber als typisch Jo und antwortete ihr dann, dass natürlich nur sie die Rolle spielen könnte. Ronan agiert hier mit Verve. Ihre Figur ist ein Freigeist, wild, ungezügelt und auch ein wenig eigenartig, aber voller Leben. Genau das, was eine Frau in jener Zeit wohl nicht sein sollte, was aber den von Timothee Chalamet gespielten Laurie so anspricht.
Die Geschichte von „Little Women“ ist eigentlich nichts Besonderes. Es ist eine Lebensgeschichte. Die einer Familie, die das Glück zu haben scheint, dass es nur wenige Tiefen, aber doch reichlich Höhen gibt. Als solche ist der Film gefällig erzählt, ohne dass besondere Dramatik aufkommen würde. Aber es ist das hervorragende Ensemble, das in diese Geschichte hineinzieht. Und der Umstand, dass der Film inspirierend ist – und das nicht nur für Mädchen und Frauen, sondern generell, lässt er doch dem Zuschauer den Freiraum, an die eigenen Träume zu glauben.
Peter Osteried