2020. Nicht lange liegt das Jahr, in dem die Corona-Pandemie begann, zurück, aber lange genug, dass sich das Kino langsam den Ereignissen annimmt. Ari Aster wählte in „Eddington“ eine satirische Form, der bulgarische Regisseur Stephan Komandarev lehnt sich in „Made in EU“ an den Sozialrealismus europäischer Schule an und erzählt dabei nicht nur von Corona, sondern auch vom Raubtierkapitalismus.
Über den Film
Originaltitel
Made in EU
Deutscher Titel
Made in EU
Produktionsland
DEU, BUL, CZE
Filmdauer
102 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Komandarev, Stephan
Verleih
jip film & verleih gbr
Starttermin
19.02.2026
Iva (Gergana Pletnyova), hustet und schnieft, fühlt sich unwohl und krank, doch der Arzt im Krankenhaus sagt nur beiläufig: „sie haben einen Infekt, aber nichts ernstes, nehmen sie Paracetamol“ und schickt sie zurück zur Arbeit. Viel später wird man erfahren, dass die Ärzte im einzigen Krankenhaus der bulgarischen Kleinstadt angewiesen sind, die Arbeiterinnen der Textilfabrik, in der auch Iva arbeitet, nie krankzuschreiben.
Besitzer der Fabrik, die immerhin 300 Arbeitsplätze in die von wirtschaftlichen Problemen gebeutelte Stadt bringt, ist Mancini, eine Art Pate, der sich mit Geldgeschäften Macht und Einfluss erkauft hat und schalten und walten kann, wie es ihm beliebt.
Iva, etwa Mitte 40, lebt mit ihrem Sohn Micho (Todor Kotsev) in einer kleinen Wohnung und schafft es so gerade genug zum Leben, eher zum Überleben zu verdienen. Die Arbeit in der Fabrik ist hart, 12 Stunden pro Tag sind die Norm, täglich zwei Überstunden die Regel, Etiketten mit dem Label „Made in EU“, suggerieren bessere Arbeitsbedingungen als in Fabriken im globalen Süden, zumindest ist das die Lüge, die Käufer in den wohlhabenderen Ländern Europas sich gerne selbst erzählen.
Und dann kommt Corona in die Kleinstadt, es ist März 2020, auch in Bulgarien wird der Notstand ausgerufen, Masken werden Pflicht – und Iva wird als erste Person in der Stadt positiv getestet. Bei ihr selbst verläuft die Krankheit glimpflich, doch andere sind nicht so glücklich. Menschen sterben, auch Angehörige von Arbeitskolleginnen von Iva und auf einmal sieht sie sich als Verursacherin verunglimpft, gilt als Patientin Null, auch wenn sie die Stadt seit Jahren nicht verlassen hat, schon ewig keinen Urlaub hatte, ganz im Gegensatz zu Mancini, der erst vor ein paar Wochen in Italien war.
Laut Stephan Komandarev gibt es eine beängstigendere Pandemie als Corona: Die Globalisierung. Und so ist sein Corona-Film „Made in EU“ auch weniger ein Film über die wenige Jahre zurückliegende Pandemie, deren Folgen zwar noch spürbar sind, die aber doch weitestgehend abgeschlossen scheint, denn ein Film über jene andere Pandemie, die noch grassiert, aber so sehr Teil unserer Welt ist, dass sie so schnell nicht verschwinden wird.
Nur gut 1500 Kilometer entfernt von der deutschen Hauptstadt liegt Sofia, deutlich näher als etwa Madrid, dennoch wirkt Bulgarien weit weg. Dass auch in den industriell unterentwickelten Regionen des seit 2007 zur EU gehörenden Landes Ausbeutungsstrukturen existieren, von denen auch deutsche Verbraucher profitieren, findet wenig Aufmerksamkeit. Sweat-Shops in Asien sind beliebtes Motiv für aufklärerische Dokumentarfilme, das ähnliches auch auf dem Balkan existiert, zum Teil vermutlich sogar von EU-Geldern gefördert, mag man kaum glauben.
Ähnlich der sozialrealistischen Filme von Ken Loach oder Stéphane Brizé geht auch Stephan Komandarev in „Made in EU“ vor, zeigt die Strukturen auf, die eine Frau wie Iva dazu zwingen, trotz Krankheit zu arbeiten, geht aber auch weiter: Ivas Sohn Micho ist im Internet aktiv, postet Videos über sein Leben, verfolgt daher aus erster Hand, wie seine Mutter online diffamiert wird, wie aus kurzen Clips verfälschende Anklagen werden, wie die Medienöffentlichkeit funktioniert. Ein wenig kursorisch wirkt das zwar manchmal, etwas zu schematisch die Probleme und Vorwürfe, denen sich Iva ausgesetzt sieht. Doch immer wieder zeigt Komanderev mit kleinen, beiläufigen Szenen, wie das System funktioniert, wie hier mal ein Regierungsmitarbeiter mit kleinen Geschenken beeinflusst wird, wie dort ein Vorurteil bestätigt wird.
Michael Meyns







