Mademoiselle Chambon

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Mit „Mademoiselle Chambon“ seinem bittersüßen Beziehungsdrama aus der französischen Provinz, gelingt Regisseur Stéphane Brizé ein weiteres Meisterwerk des leisen Erzählens und der Zwischentöne. Konsequent zelebriert der 44jährige Franzose subtil den Reiz des Schweigens, die Symbolik von Gesten und Blicken und inszeniert so Leidenschaft ohne sentimentales Pathos. Vor allem die hervorragende Besetzung mit dem inzwischen getrennten Schauspielerpaar Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon verleiht seiner auf den ersten Blick unspektakulären Liebesgeschichte den Charme einer empfindsamen Romanze.

Webseite: www.arsenalfilm.de

Frankreich 2009
Regie: Stéphane Brizé
Drehbuch: Stéphane Brizé, Eric Holder, Florence Vignon
Kamera: Antoine Héberlé
Länge: 101 Minuten
Darsteller: Vincent Lindon, Sandrine Kiberlain, Aure Atika, Jean-Marc Thibault, Arthur Le Houérou
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 12.08.2010
 

PRESSESTIMMEN:

Wirklich französisches Kino wie aus dem Bilderbuch... Ein Film, so zart wie ein Wimpernschlag seiner zerbrechlichen Hauptdarstellerin Sandrine Kiberlain.
BRIIGITTE

Wie einfach Kino doch sein kann: Ein Handwerker verliebt sich in "Mademoiselle Chandon", die Lehrerin seines kleinen Sohnes, und zerreibt sich zwischen der romantischen Möglichkeit eines anderen Lebens und der Verantwortung für seine Familie. ...Minimal aufwändig erzählt. Blicke, Gesten, wenig Worte. Ein Film wie ein zartes Pflänzchen. Schön.
STERN

FILMKRITIK:

Als Blitz und Donner, als Coup de foudre, beschreibt die französische Seele die Liebe auf den ersten Blick: das Instant-Erlebnis, die unmittelbare Erkenntnis, die plötzliche Agonie des gerade noch gelebten Lebens und die Aussicht auf ein neues. In der sonnendurchfluteten Provence, trifft den verheirateten Maurermeister Jean (Vincent Lindon) dieser Blitzschlag der Liebe nachdem er zufällig der Grundschullehrerin seines Sohnes begegnet. Veronique (Sandrine Kiberlain), die junge Pariserin, die nur für kurze Zeit eine Vertretung in der Provinzschule angenommen hat, löst bei dem Wortkargen eine Flutwelle von Gefühlen aus, die er sich zunächst gar nicht eingestehen mag.

Schließlich lebt Jean mit seiner sympathischen Frau Anne Marie (Aure Atika) und seinem Sohn einen ruhigen, beschaulichen Alltag und keine eintönige Routine. Der Bauarbeiter liebt seinen Beruf. Das ist auch zu spüren, als er vor der Klasse seines Sohnes über seine Arbeit spricht. „Ein Haus“, erklärt der Arbeiter anschaulich den Kinder, „braucht ein gutes Fundament“. Danach begleitet er Veronique nachhause, übernimmt den Auftrag eines ihrer kaputten Fenster zu reparieren und findet sich in einer anderen Welt wieder. Ihr Geigenspiel berührt ihn. Und auch die Lehrerin fühlt sich zu trotz aller Standesunterschiede zu ihm hingezogen.

Obwohl die beiden sich qualvoll umkreisen, immer wieder vor ihrer eigenen Courage erschrocken zurückweichen, stellt sich am Ende die unausweichliche Frage „Bleiben oder gehen“. Eine Entscheidung, die beide treffen müssen. Denn die moderne Freiheit macht es den Menschen nicht immer leichter. Im Gegenteil, sie macht es ihnen oft erheblich schwerer. Sie zwingt die Liebenden, den richtigen Gebrauch von ihrer Freiheit zu machen: Sie müssen den Augenblick des Gefühls „ergreifen“ und ihr Begehren in die Dauer der Liebe verwandeln. Sie müssen - wählen.

Doch bis dahin webt Regisseur Stéphane Brizé mit traumwandlerischer Sicherheit und Empfindsamkeit Sequenz für Sequenz zerbrechliche Metaphern des Begehren und der Liebe in Bilder. Was das Innenleben seiner Akteure angeht, arbeitet der 44jährige Filmemacher und Schauspieler, dessen Debütfilm „Man muss mich nicht lieben” als Arthouse-Entdeckung der Saison galt, lieber mit Andeutungen, mit Ellipsen und Retardierungen. Auf den ersten Blick unspektakulär und tempoarm zeigt er, verliebt in die Irrungen und Wirrungen, verhaltene Gefühle, verlegene Annäherungen, aufbrechende Sehnsüchte. Trotzdem ist ihm der voyeuristische Blick fremd.

Sein langsames Erzähltempo gibt dem einstigen Schauspielerehepaar Vincent Lindon und Sandrine Kiberlain Zeit, glaubwürdig mit wenig Worten, sparsamen Gesten und zurückhaltender Mimik, die intensiven Gefühle der beiden Hauptfiguren und den dadurch hervorgerufenen heftigen Konflikt auszudrücken. In diesem perfekten Zusammenspiel der beiden entfaltet diese bittersüße Beziehungsgeschichte eine leise Authentizität und lakonische Balance.

Nicht nur beim Blick der Kamera auf die schlafende Veronique erinnert sein romantisches Drama streckenweise an den opulenten Farbfilm „Claires Knie“ von Eric Rohmer, der dem verstorbenen Altmeister des Authentischen 1970 den internationalen Durchbruch bescherte. Auch in seinem Filmzyklus „Moralische Erzählungen“ waren es die Männer, die im Durcheinander der amourösen Optionen zu straucheln drohten. Gleichwohl bleibt Rohmers Handschrift natürlich unnachahmlich.

Als Referenz für die Begegnung zweier Menschen, die sich verpasst haben, hatte Brizé freilich das Drama um verlorene Liebe und unerfüllte Träume „Die Brücken am Fluss“ von Clint Eastwood im Kopf. Besonders die Szene, bei der Meryl Streep den Griff der Autotür hält, als sie sich entscheiden muss ob sie geht oder bleibt, hat es ihm angetan. Mit der letzten Einstellung seines Films, kommt er diesem eindringlichem Bild doch schon sehr nahe.

Luitgard Koch

Jean ist wie einst sein Vater Maurer, lebt mit seiner Frau Anne Marie, einer Fabrikarbeiterin, und Sohn Jérémy einigermaßen glücklich zusammen. Er kümmert sich um seinen alten Herrn, wäscht ihm beispielsweise die Füße und sucht mit ihm schon einmal einen Sarg aus. Jean ist zurückhaltend, wortkarg, er haut nicht auf den Putz.

Véronique Chambon ist die Lehrerin von Jérémy. Sie lebt allein – meist still vor sich hin. Sie macht den Eindruck einer einfachen aber noblen Dame, spielt zudem vorzüglich Geige. Eines Tages bittet sie Jean, vor ihrer Klasse etwas über seinen Beruf zu erzählen. Das gelingt gut.

Sie braucht ein neues Fenster. Jean setzt es bei ihr ein. Er entdeckt die Geige, bittet Véronique spontan, ihm etwas vorzuspielen.

Für ihn ist das Gefühl, das Musik erwecken kann, etwas Neues, ihn Beeindruckendes. Und noch etwas stellt sich daneben ein: Gefühle für Véronique. Fast sehnsüchtig werden diese erwidert. Beide hat die Liebe überfallen.

Jeans Frau Anne Marie erwartet ein Kind. Der Entscheidungszwang, vor allem bei Jean, wird jetzt übermächtig.

Wie soll so etwas gut ausgehen?

An Handlung geschieht nicht viel. Aber: sich ansehen, überlegen, warten, zögern, überwältigt werden, Gewissensnöte erfahren, Sehnsucht schmerzlich empfinden, enttäuscht sein – davon gibt es viel. Und mit welcher Sensibilität es gezeigt wird, das ist höchst beachtlich. Ein schönes, melancholisches Stück Kino.

Sandrine Kiberlain als Véronique Chambon und Vincent Lindon als Jean sind hier buchstäblich unübertroffen. Ein oft unausgesprochenes Gefühl des Zusammenseins und der doch erzwungenen Trennung. Meisterliches Spiel.

Eine sensible, diskrete, melancholische Liebesgeschichte.

Thomas Engel