Mars Express

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Nicht erst heute, da die Technik alle Lebensbereiche erobert hat, stellt sich die Frage, was sie mit uns macht, wie sie uns beeinflusst. Bereits seit seinen Anfängen erforscht das Science-Fiction-Kino die Beziehung zwischen Mensch und Maschine und wirft dabei gerne düstere Unterwerfungsszenarien an die Wand. In eben diesen Diskurs steigt auch der französische Animationsstreifen „Mars Express“ ein, der 2023 in Cannes das Licht der Welt erblickte. Vertraute Versatzstücke und Ideen verhandelt Regisseur und Drehbuchmitautor Jérémie Périn darin auf ebenso kluge wie spannende Weise.

Webseite: https://www.capelight.de/mars-express

Frankreich 2023
Regie: Jérémie Périn
Drehbuch: Jérémie Périn, Laurent Sarfati

Länge: 88 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Verleih/Vertrieb: capelight pictures

FILMKRITIK:

In der Welt des Films, der im Jahr 2200 spielt, sind Roboter längst fester Bestandteil im gesellschaftlichen Miteinander. Besonders auf der Erde, die an einer Stelle als Drecksloch voller Arbeitsloser bezeichnet wird, regt sich jedoch massiver Widerstand gegen die Maschinenwesen, Gewaltausbrüche eingeschlossen. Auf dem längst kolonisierten Mars ist die Lage dagegen weniger angespannt. Die in die Programmierung der künstlichen Helfer eingeschriebenen Regeln – Scifi-Pionier Isaac Asimov lässt grüßen! – scheinen für Sicherheit zu sorgen. Neuerdings aber geht die Angst vor Robotern um, die sich ihrer Direktiven entledigen.

Bühne frei für die Privatermittlerin Aline Ruby und ihren befreundeten Partner Carlos Rivera, einen Androiden mit dem Bewusstsein eines verstorbenen Menschen! In der Mars-Hauptstadt Noctis begeben sich die beiden auf die Suche nach der Kybernetik-Studentin Jun Chow, die offenbar einen Roboter von seinen Protokollen befreien konnte. Bei ihren Recherchen stoßen sie schnell auf eine Leiche und kommen einer Verschwörung mit weitreichenden Konsequenzen auf die Schliche.

„Mars Express“ hebt sich mit seiner vom japanischen Anime-Stil beeinflussten Ästhetik spürbar ab von der Optik vieler US-amerikanischer Studiofilme. Schon das ist irgendwie erfrischend. Pate stand bei der visuellen Gestaltung sicher auch der klassische Film Noir, dessen Schattenspiele Jérémie Périn auf seinen Science-Fiction-Krimi überträgt.

Größter Pluspunkt ist allerdings die Ausgestaltung der hier präsentierten Zukunftswelt, die man bei der ersten Sichtung in all ihren Einzelheiten nur schwer erfassen kann. „Mars Express“ denkt Entwicklungen der Gegenwart weiter, benutzt und variiert viele bekannte Genre-Motive. Künstliche Katzen, deren Fell sich abziehen und waschen lässt, Selbsthilfegruppen für Androiden, die früher Menschen waren, die Möglichkeit, das eigene Gedächtnis zu vermieten – Périn und Koautor Laurent Sarfati bestücken ihr filmisches Universum mit zahlreichen aufregenden Details und ziehen uns so in das Geschehen hinein.

Beunruhigend sind nicht nur einige der skizzierten technischen Phänomene. Nachdenklich stimmt auch das langsame Verkümmern echter zwischenmenschlicher Kontakte. Der Professor der vermissten Jun beispielsweise gibt gegenüber Aline offen zu, dass er künstliche Liebhaberinnen bevorzuge, da er diese, wenn sie nerven sollten, einfach abschalten könne. So sieht sie aus, die schöne neue Welt!

Der Plot von „Mars Express“ schlägt einige überraschende Haken und wartet mit gut dosierten Actioneinlagen auf, gerät manchmal aber eine Spur zu gehetzt. Hier und da hätten sich die Macher etwas mehr Zeit für die Entwicklungen ihrer Geschichte nehmen können. Aline Ruby und Carlos Rivera geben ein solides Ermittlerduo ab, dem man gerne folgt, auch wenn sie ein typisches Kinoklischee repräsentiert. Wie so viele Noir-Detektive vor ihr kämpft Ruby nämlich mit dem Alkohol. Eine Eigenschaft, die ihre Figur nicht übermäßig plastisch macht. Interessanter wirkt da schon ihr Androiden-Kollege, den die Dämonen seines früheren Menschseins verfolgen. Schon vor Carlos‘ Tod kam es, nicht zuletzt wegen häuslicher Gewalt, zur Trennung von seiner Ehefrau, die ihm nun den Umgang mit der gemeinsamen Tochter verwehrt. Dieser Aspekt und andere relevante Themen, etwa die Auswüchse des Kapitalismus und Klassenunterschiede, greift die zum Ende hin spannungstechnisch merklich anziehende Erzählung ungezwungen auf, ohne die zentralen Fragen aus den Augen zu verlieren: Was macht uns Menschen aus? Haben Maschinen Gefühle, Sehnsüchte? Und wenn ja, warum sollten sie diesen nicht auch folgen dürfen?

 

Christopher Diekhaus