Me, We

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Viele Filme beschäftigten sich in den letzten Jahren mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“, meist mit guten Absichten, mit sympathisierendem, manchmal auch naivem Blick auf Schutz- und Hilfssuchende. Es überrascht nun nicht, dass es gerade ein österreichischer Film ist, der sich auf pointierte, manchmal auch böse Weise mit der anderen Seite beschäftigt: Weißen Menschen, die unbedingt helfen wollen – und oft nicht merken, dass sie dabei vor allem an sich selbst denken.

Me, We
Österreich 2021
Regie: David Clay Diaz
Buch: David Clay Diaz & Senad Halilbašić
Darsteller: Verena Altenberger, Lujas Miko, Alexander Srtschin, Barbara Romaner, Anton Noori, Thomas Otrok

Länge: 119 Minuten
Verleih: Four Guys/ Camino
Kinostart: 4. August 2022

FILMKRITIK:

In vier Episoden thematisiert „Me, We“ das Verhältnis von weißen Österreichern zu Flüchtlingen und zeigt dabei, wie gute Absichten an Grenzen stoßen können. In einem Camp auf Lesbos versucht Marie (Verena Altenberger) sich als freiwillige Mitarbeiterin in einem NGO-Camp zu engagieren. Sie wartet auf Flüchtende, mit zunehmender Ungeduld, denn kein Boot kommt. Im Camp macht sich Langeweile breit, die Helfer beschäftigen sich mehr mit ihren eigenen Befindlichkeiten als mit möglichen Flüchtlingen.

In Wien lebt Petra (Barbara Romaner), arbeitet als Fernsehredakteurin und nimmt den Flüchtling Mohammed (Mehdi Meskar) in ihrem Haus auf. Weniger als Mensch sieht sie Mohammed, sondern als Projekt. Freiheiten lässt sie dem jungen Mann kaum, versucht ihn stattdessen auf oberlehrerhafte Weise mit westlichen Verhaltensweisen vertraut zu machen. Im Kunstmuseum zeigt Petra Mohammaed Gemälde von Egon Schiele, die nackte Frauen zeigen. Selbstverständlich sei das hier, sagt sie, viel besser als die Werte der arabischen Welt, das sie allerdings selbstverständlich nicht kennt.
Ebenfalls in Wien arbeitet Gerald (Lukas Miko) in einem Asylantenheim. Nach Beschwerden der Nachbarn über das laute Verhalten der Flüchtlinge steht die Zukunft des Heims in Frage. Mit besonderer Wachsamkeit versucht Gerald seine Zöglinge zu kontrollieren und stößt dabei an Grenzen. Besonders der traumatisierte Aba (Wonderful Idowa) stellt den Heimleiter auf eine harte Geduldsprobe, denn die Flüchtlinge wollen sich nicht an die vielen, vielen Regeln halten.
Und schließlich der Teenager Marcel (Alexander Srtschin), der in der Provinz lebt und glaubt, dass Flüchtlinge die einheimischen Frauen belästigen. Zusammen mit ein paar Freunden gründet er die „Schutzengel AG“, die es sich zur Aufgabe macht, Frauen vom Einkaufen oder der Disco sicher nach Hause zu begleiten.

Auch diese Episode basiert auf den umfassenden Recherchen, die Regisseur David Clay Diaz und sein Co-Autor Senad Halilbašić in Österreich und Griechenland durchführten. Das Ergebnis ist ein ungewöhnlicher Episodenfilm, der unangenehme Fragen aufwirft, der dem oft narzisstischen Idealismus der Helfenden einen Spiegel vorhält. Leicht könnte dieser Ansatz nun von rechter Seite instrumentalisiert werden und zu einer grundsätzlichen Ablehnung von Flüchtlingshilfe oder Asyl werden. Doch Clay Diaz und Halilbašić, die selbst als Kinder als Flüchtlinge nach Österreich kamen, gelingt es, die gern als „Gutmenschen“ bezeichneten Helfenden ambivalent und komplex darzustellen. Dass Gerald, Marie oder Petra mit guten Absichten agieren stellen sie nicht grundsätzlich in Frage. Statt dessen deuten sie an, dass die Helfenden ihr Tun nicht genug hinterfragen. Menschen aus anderen Kulturen, die oft furchtbares durchlebt haben, zu helfen, mag ehrenwert sein, sie umzuformen, binnen kürzester Zeit zu Europäern zu machen, ist dagegen nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, sondern kann kontraproduktiv sein.

Am Ende müssen sich alle Helfenden fragen, für wen sie wirklich tun was sie tun: Für die Flüchtlinge, Asylsuchenden, Hilfesuchenden, die nach Europa kommen oder vielleicht doch, zumindest ein bisschen, für sich selbst, um das eigene Gewissen zu beruhigen, dem eigenen Narzissmus zu genügen.

 

Michael Meyns