Mediterranean Fever

Zum Vergrößern klicken

Die Tragikomödie spielt im palästinensischen Teil von Haifa und handelt von einem Familienvater, der gerne Schriftsteller wäre, aber so depressiv ist, dass er gerade so gegenüber seinen Mitmenschen die Fassade der Normalität aufrechthalten kann. Ein neuer Nachbar, der offenbar Verbindungen zum kriminellen Milieu hat, bringt ihn auf eine fatale Idee ...

Maha Hajs zweiter Kinofilm nach „Personal Affairs“ (2016) bietet vorrangig die sensible Charakterzeichnung zweier Männer, die nur auf den ersten Blick komplett unterschiedlich sind. Dennoch ist „Mediterranean Fever“ auch ein politischer Film, der die Situation Palästinas mit feinem Sarkasmus und subtilem Humor widerspiegelt.

Deutschland/Palästina/Frankreich/Zypern 2022
Drehbuch und Regie: Maha Haj
Darsteller: Amer Hlehel, Ashraf Farah, Anat Hadid, Samir Elias, Cynthia Saleem, Shaden Kanboura
Kamera: Antoine Héberlé
Musik: Munder Odeh

Länge: 108 Minuten
Verleih: Pallas Film
Kinostart: 4. Mai 2023

FILMKRITIK:

Ola und Waleed leben mit ihren beiden Kindern Nour und Shams als Palästinenser im israelischen Haifa. Ola geht arbeiten, während Waleed sich um den Haushalt kümmert. Eigentlich ist Waleed Schriftsteller, oder anders gesagt: Er wäre gern einer, allerdings ist das so eine Sache mit dem Schreiben. Zwar verfügt Waleed immerhin über eine blühende Fantasie, er hat auch schon eine vage Idee für einen Krimi, aber leider ist Waleed auch schwer depressiv und deshalb in Behandlung bei einer freundlichen Psychologin – bisher ohne sichtbaren Erfolg. Als der neue Nachbar Jalal mit seiner Familie ins Haus einzieht und die beiden Männer Freunde werden, geht es Waleed bald deutlich besser. Es scheint, als ob er sein Leben immer besser in den Griff bekommt, doch in Wahrheit verfolgt Waleed einen Plan, für den er unbedingt Jalals Hilfe braucht.

Eine melancholische Familienkomödie, ein Hauch von Thriller mit einer Prise Fantasy- und dazu viel schwarzer Humor ... Maha Hajs Film passt in keine der gängigen Schubladen. Vielleicht ließe sich “Mediterranean Fever” am ehesten als Charakterdrama bezeichnen. Es handelt von einem Möchtegern-Schriftsteller, der unter seinen chronischen Depressionen ebenso leidet, wie er sie pflegt. Das bedeutet nicht etwa, dass sie nicht ernst genommen werden sollten – im Gegenteil: Es steht schlecht um Waleed. Aber wie so viele andere mit dieser Krankheit schafft es Waleed, nach außen den Anschein von Normalität zu wecken. Er funktioniert im Alltag, er kümmert sich rührend um die Kinder und versorgt den Haushalt. Doch sein Alltag ist freudlos, auch wenn sich Waleed stark und souverän gibt. Ganz anders dagegen Jalal, der optimistisch und aktiv wirkt, so dass Waleed in seiner Gesellschaft aufblüht. Jalal ist ein Hansdampf in allen Gassen, der jeden kennt und sogar Kontakte zur kriminellen Szene hat, was Waleeds Arbeit an dem geplanten Kriminalroman schnell beflügelt. Doch die beiden Männer sind sich ähnlicher, als sie beide ahnen. Als Waleed eines Tages versucht, den hoch verschuldeten Jalal mit einem Batzen Geld zu einem Auftragsmord zu bewegen, hält Jalal ihn zunächst für komplett durchgeknallt, gewinnt aber immer mehr Gefallen an der Idee. Doch Maha Haj vermeidet in ihrem Film jede einfache Lösung und jede allzu publikumswirksame Komik – also weder Buddy- noch Krimikomödie, die Stimmung bleibt melancholisch, zusätzlich unterstützt durch die trüben Herbstbilder vom Mittelmeer. Dabei ist Maha Hajs Blick auf männliche Befindlichkeiten beinahe liebevoll und fernab von jedem Zynismus.

Ashraf Farah spielt den Jalal mit lebhaftem Charme. Er ist nur auf den ersten Blick ein liebenswürdiger, unkomplizierter Tatmensch, der in Wahrheit viele Geheimnisse hinter seinem freundlichen Gesicht verbirgt. Amer Hlehel ist als Waleed ein schwermütiger Anfangvierziger, dessen Hoffnungslosigkeit viel mit der politischen Situation zu tun hat. Es gibt einige Anspielungen darauf. Wenn sein Sohn Shams Bauchschmerzen vor dem Geographieunterricht hat, dann könnten das Anzeichen einer beginnenden Depression sein oder aber Symptome für das “Mittelmeerfieber”, eine genetisch bedingte Erkrankung. Der titelgebende Name der Krankheit steht hier allerdings eindeutig für die Gemütslage der Menschen in den palästinensischen Gebieten. Und es scheint, als ob die Frauen besser mit diesem Leben zurechtkommen: Anat Hadid als Ola ist eine patente Ehefrau und Mutter, zupackend und entscheidungsfreudig, aber auch sensibel im Umgang mit ihrem Mann, von dessen Krankheit sie nicht nur weiß, sondern die sie auch sehr ernst nimmt. Doch die große Frage bleibt, ob sie oder jemand anders überhaupt die Möglichkeit haben, ihrem Mann zu helfen.

 

Gaby Sikorski