Mein Totemtier und ich

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In einer Zeit, in der Menschen aus anderen Ländern häufig mit Skepsis begegnet wird und in der krude Grusel-Begriffe wie „Remigration“ salonfähig gemacht werden sollen, ist ein Film wie „Mein Totemtier und ich“ geradezu ein Lichtblick im gesellschaftlichen Dunkel. Die Geschichte der 11-jährigen Ama, die eigentlich in Rotterdam, in Wirklichkeit aber nirgendwo zuhause ist, ist Mutmach-Kino in bester Kinderfilm-Tradition.

Webseite: http://farbfilm-verleih.de/filme/mein-totemtier-und-ich/

Niederlande, Luxemburg, Deutschland 2022
Regie: Sander Burger
Drehbuch: Sander Burger, Bastiaan Tichler
Darsteller: Amani-Jean Philippe, Ole van Hoogdalem, Liis Visschedijk, Emmanuel Ohene Boafo, Céline Camara, Liam Romney, Illass Ojja, Bas Keijzer, Kenneth Herdigeln, Alpha Barry
Kamera: Saal Kronenberg
Musik: Amaury Laurent Bernier

Länge: 97 Minuten
Start: 6. Juni 2024

FILMKRITIK:

„Geh auf keinen Fall zur Polizei!“ Wie ein Mantra hat Ama diesen Satz immer wieder von ihren Eltern gehört. Denn Amas Familie stammt aus dem Senegal und hält sich illegal in den Niederlanden auf. Seit 11 Jahren, denn Ama wurde bereits in Rotterdam geboren. Amas Familie lebt schon lange unter dem Radarschirm der Behörden, was nicht immer ganz leicht fällt. Trotzdem geht Ama regelmäßig zur Schule und gehört als Nachwuchsschwimmerin zu den Besten des Landes. Doch dann fliegen Amas Mutter und ihre Schwester durch einen Zufall auf und werden verhaftet. Amas Vater und sie selbst verstecken sich und suchen einander, um irgendwie gemeinsam die Abschiebung der Familie zu verhindern, als bei Ama plötzlich ein riesiges Stachelschwein auftaucht, das sich als ihr Totemtier entpuppt, eine Mischung aus „Local Guide“ und Schutzengel.

Dieses Totemtier wird ab seinem ersten Auftritt zum heimlichen Star des Films, nicht zuletzt wegen der zunächst befremdlich wirkenden Entscheidung von Regisseur Sander Burger, gegen jeden modernen Kinotrend auf CGI zu verzichten. Das Stachelschwein ist eine große mechanische Puppe, die auf Rädern hinter Amani-Jean Philippe, die Ama einfach umwerfend spielt, hergebollert wird. Verblüffenderweise verleiht dieser Klotz von einem Viech dem Film jedoch eine ganz besondere, poetische Qualität, die Amas eigentlich traurige Geschichte mit märchenhafter Ironie und schrägem Humor auflädt.

Natürlich wäre es zu viel der Märchenhaftigkeit, wenn es einer 11-jährigen Illegalen und einem Stachelschwein, das möglicherweise nur in ihrer Phantasie existiert, gelänge, die niederländischen Behörden in die Knie zu zwingen. Dazu ist mehr vonnöten, und hier kommt das Motto des Films ins Spiel: „Du bist nicht allein!“ Ama bekommt Hilfe von ihren Freunden, angeführt von ihrem Mitschüler und -schwimmer Thijs, dessen Mutter, die Polizistin Paula, ausgerechnet nach Ama und ihrem Vater fahndet.

Wie zu erwarten und zu hoffen, fügt sich in bester Kinderfilm-Manier nach einigen spannenden Verwicklungen am Ende alles zum Guten, sodass Ama am Ende leichten Herzens, aber bestens trainiert (und ganz ohne Stachelschwein-Doping) an dem Schwimmwettkampf, teilnehmen kann, für den sie so hart trainiert hat. Ein schönes Ende für einen schönen Film: Mit sympathischem Witz und ohne den berüchtigten Zeigefinger zu bemühen, hat Sander Burger eine zutiefst menschliche Geschichte erzählt und dem Publikum vor Augen geführt, wie wichtig es ist, anderen zu helfen, die in Bedrängnis sind. Ein Film über Freundschaft, Identität und den Wert der Fantasie.

Nicht nur Kinder, auch die Erwachsenen im Publikum werden knapp hundert spannende und humorvolle Minuten im Kinositz verbringen, mit Ama und ihrer Familie mitfiebern und – natürlich – zu Stachelschwein-Fans werden.

 

Gaby Sikorski