Schön depressiv wirken die „Memoiren einer Schnecke“, mit denen der australischen Regisseur Adam Elliot erneut ein stilistisches Wunderwerk vorlegt. Komplett in der ebenso altmodischen, wie aufwändigen Stop-Motion-Animationstechnik realisiert, erzählt er von der einsamen Grace, die sich in ein selbstgebautes Schneckenhaus zurückgezogen hat, aus dem sie nur langsam hinausfindet.
Über den Film
Originaltitel
Memoir of a Snail
Deutscher Titel
Memoiren einer Schnecke
Produktionsland
AUS
Filmdauer
94 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Elliot, Adam
Verleih
capelight pictures OHG
Starttermin
01.01.1970
Zwei Freundinnen hatte Grace Pudel, und die menschliche der Beiden ist nun verstorben. Kartoffeln war das letzte Wort von Pinky, einer quirligen alten Dame, die Grace in ihrem Wohnort, dem australischen Canberra, kennengelernt hatte. Nun bleibt nur noch die andere Freundin: Sylvia, eine winzige Schnecke. Deren Mutter war einst die erste Schnecke gewesen, die Grace aufgezogen hat, der Beginn einer innigen Beziehung zu den Wesen, die ihr eigenes Haus mit sich herumtragen, in das sie sich bei Gefahr schnell zurückziehen können.
In diesem Sinn hat auch Grace ihr bisheriges Leben verbracht, das sie Sylvia nun in langen Rückblenden erzählt. Einen Zwillingsbruder namens Gilbert hatte Grace einst, der auch ihr bester Freund war, bis die Geschwister nach dem Tod der Eltern getrennt wurden. Das Unglück war nie fern im Leben der Grace, wegen einer Hasenscharte wurde sie in der Schule gehänselt, statt mit Menschen umgab sie sich lieber mit Büchern und so ging das Leben dahin.
Vor Jahren hatte der australische Regisseur Adam Elliot mit seinem Debütfilm „Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?“ großen Erfolg, ein in der mühseligen, stilistisch aber einzigartigen Stop-Motion-Technik gedrehter Animationsfilm. Acht Jahre hat er nun am Nachfolger gearbeitet, dem in jedem Moment der liebevolle Arbeitsprozess anzumerken ist. Denn im Gegensatz selbst zu den neuen „Wallace & Gromit“-Filmen, die zunehmend auch auf die Hilfe von Computertechnik zurückgreifen, hat Elliot zusammen mit seinem Team tatsächlich jedes Bild von „Memoiren einer Schnecke“ in Handarbeit hergestellt.
Besonders im Zimmer von Grace zeigt sich die Liebe zum Detail: Unzählige Schnecken aller Art machen das Zimmer bald zu einem Museum, aber auch zum zu Hause einer fast schon manischen Sammlerin, die sich lieber mit Objekten als mit Menschen umgibt. Ein wenig aufgesetzt mag die Allegorie des Schneckenhauses wirken, auch Bilder von Käfigen ziehen sich durch den Film, mal sind es Tiere, mal Gilbert und Grace selbst, die hinter tatsächlichen oder eingebildeten Gitterstäben zu sehen sind.
Immer neue Hindernisse und Unglücksfälle stellen sich Grace dabei in den Weg, fast als wäre sie eine moderne Hiob-Figur, deren Durchhaltevermögen getestet wird. So ist es dann auch Schnecken-Gift, das Grace einmal fast schluckt, in einem Moment, in dem die Verzweiflung sie zu überwältigen scheint.
Doch in solche düsteren Bahnen lässt Elliot seine Hauptfigur nur für Momente blicken, wählt stattdessen einen tragikomischen Ton, der voller Witz und Humanismus davon erzählt, dass für im Herzen gute Menschen wie Grace am Ende doch die Hoffnung siegt. Die Geschichte von „Memoiren einer Schnecke“ mag im Kern ein wenig dünn bleiben, der enorme visuelle Einfallsreichtum, der in praktisch jedem Bild unzählige zu entdeckende Details bereithält, lässt darüber hinwegsehen.
Michael Meyns