Men on the Bridge

Zum Vergrößern klicken

Gleich mit ihrem ersten Kinofilm gelingt der jungen türkischen Regisseurin Asli Özge ein hoch interessanter Film. "Men on the Bridge" ist irgendwo zwischen Dokumentation und Fiktion angesiedelt und erzählt von drei Männern zwischen 17 und 28, die in Istanbul ihren Platz im Leben suchen. Mit subtiler Beobachtungsgabe, ohne dramatische Zuspitzung erzählt Özge drei Geschichten, die emblematisch für die unbestimmte Gegenwart der Türkei stehen.

Webseite: www.farbfilm-verleih.de

OT: Köprüdekiler
Türkei/ Deutschland 2009, 87 Minuten
Regie: Asli Özge
Drehbuch: Asli Özge
Darsteller: Fikret Portakal, Murat Tokgöz, Umut Ilker, Cemile Ilker
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 22. Juli 2010
 

PRESSESTIMMEN:

...

FILMKRITIK:

Eigentlich wollte die seit Jahren in Berlin lebenden türkische Regisseurin Asli Özge eine Dokumentation drehen. Doch da türkische Polizisten nicht in Filmen auftreten dürfen, machte sie aus der Not eine Tugend: Zwei ihrer Hauptfiguren spielen sich selbst, viel mehr: sind sie selbst. Die dritte, eben der Verkehrspolizist Murat, wird von einem Schauspieler gespielt, allerdings einem Laien.

Murat regelt auf der großen Bosporusbrücke, der Verbindung zwischen Europa und Asien den Verkehr, zumindest versucht er es. Meistens stehen die Autos im Stau, mehr als ein verbotenes Handy-Gespräch am Steuer passiert hier selten. Einmal vertreibt Murat einige Blumenverkäufer von der Straße, die zwischen den Autos herumlaufen und meist vergeblich ihre Ware anbieten. Einer der Verkäufer ist Fikret, mit 17 der jüngste der Protagonisten, der Blumen verkauft, aber gern eine richtige Arbeit hätte. Doch ohne Schulbildung hat er kaum eine Chance in den Geschäften, in denen er nach einem Job sucht. Ohne Fokus verläuft sein Leben und in einer zunehmend modernisierten Gesellschaft wohl auch ohne jede Zukunft. Der dritte im Bund ist der Sammeltaxifahrer Umut, 28 und verheiratet. Seine Frau träumt von einer besseren Zukunft, einer größeren Wohnung, aber angesichts seines einfachen Berufs sieht Murat keine Chance, die Wünsche seiner Frau zu erfüllen.

Als verbindendes Element dieser drei Figuren ist die Brücke mit ihrem symbolischen Stau nicht unbedingt eine subtile Metapher. Doch es spricht für die Regisseurin, dass sie dieses Offensichtliche nicht zusätzlich in den Vordergrund stellt. Stattdessen bedient sie sich subtiler Momente, um Verbindungen zwischen den Figuren herzustellen und damit ein umfassenderes Portrait der türkischen Gesellschaft zu zeichnen. Immer wieder steht etwa ein Computer im Mittelpunkt. Abends sitzt Murat vor seinem Rechner und versucht in Chaträumen, Heiratskandidatinnen kennen zu lernen. Umuts Frau wiederum berichtet bei der Arbeitsvermittlung von ihren nicht vorhandenen Computerkenntnissen, die eine Karriere praktisch unmöglich machen. Und so wie Murat einen Strafzettel wegen Handy-Benutzung am Steuer verteilt, bekommt etwas später Umut einen Verweis, als er am Steuer seines Taxis telefoniert.

Ganz unaufdringlich entwirft Özge so das Portrait einer Generation, die in einem rapide sich wandelnden Land nach ihrem Platz sucht. Themen wie die angestrebte EU-Mitgliedschaft, der grassierende Konflikt mit der PKK, aber auch der immer wieder auftretende Nationalismus werden angedeutet. Mal beobachtet Fikret mit Freunden eine anachronistisch anmutende Militärparade, dann erfährt Murat im Fernsehen vom Tod einiger Polizisten bei einem Einsatz gegen die PKK.

Es ist ein bemerkenswert komplexes, dabei aber äußerst subtiles Bild der modernen Türkei, das Asli Özge entwirft. Ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, ohne überdeutlich auf Missstände hinzuweisen oder gar plakative Lösungsvorschläge zu liefern, beschreibt sie drei Männer, deren Leben trotz aller Bemühungen still zu stehen scheint. Ob man das nun Dokumentation oder Spielfilm nennen will spielt letztlich keine Rolle, "Men on the Bridge" ist ganz einfach ein herausragender Film.

Michael Meyns

Istanbul. Großstadt, Weltstadt, Kulturstadt. Aber es gibt darin auch ein kleines Leben. Und das wird hier gezeigt.

Einer der zentralen Punkte: die Bosporus-Brücke, die Verbindung zwischen Europa und Asien.

Fikret, 17, arbeitet hier. Arbeiten ist übertrieben. Er verkauft – verbotenerweise – Blumen. Immer wieder wird er von der Polizei angehalten, auf der Brücke den Verkehr nicht zu behindern. Aber Fikret könnte etwas anderes gar nicht machen, denn mit seiner Schulbildung, seinem Lesen, Rechnen, Schreiben steht es wahrlich nicht zum Besten.

Wenn er nicht beschäftigt ist, stromert er mit seinen Kumpels herum, kifft oder hört Rapp.

Umut, 28, ist Sammeltaxichauffeur. Auch er ist wie Fikret jeden Tag auf der Brücke – meist im Stau. Er muss eine neue Wohnung finden, doch die ist teuer, und die Ansprüche seiner Frau sind höher, als er es sich leisten kann.

Murat, 24, ist Polizist. Seit zwei Jahren arbeitet er in Istanbul, aber glücklich ist er nicht. Er hat Sehnsucht nach seinem Dorf im Osten und nach seiner Mutter. Sein innerstes Problem scheint die Einsamkeit zu sein. Deshalb chattet er immer wieder im Web, sucht eine Freundin, macht Verabredungen, die nichts bringen.

Manches überlagert den kleinen Alltag dieser Menschen: die nationale Feier am „Tag der Republik“, ein Feuerwerk am Nachthimmel, eine heftige Diskussion über die einen eigenen Staat fordernden Kurden oder über deren PKK, die von den stolzen Türken – „Allah sei Dank, dass ich Türke bin“ sowie „Ich würde mein Leben für die Fahne geben“, skandieren sie am „Tag der Republik“ – als reine Terrororganisation angesehen wird.

Wie gesagt, die große Stadt birgt auch Millionen kleiner Leben. Und das hat die Regisseurin Asli Özge in ihrem türkischen, u. a. vom Medienboard Berlin Brandenburg und dem Deutschen Filmförderfonds unterstützten sowie u. a. vom Bayerischen Rundfunk und ZDF/3Sat koproduzierten Film linear, nüchtern und ziemlich echt eingefangen, die Schicksale zusammengeführt - dabei die Grenzen zwischen Asien und Europa und „die Grenzen zwischen inszeniert und real überschreitend“, wie sie selbst sagt.

Asli Özge weiter: „Auf den ersten Blick scheint das Leben in Istanbul zügellos; tatsächlich aber stecken die Schicksale und Wünsche seiner Bewohner ebenso fest wie die Autos im Stau auf der Bosporus-Brücke.“

Für den Film, in dem Laien ihre Rollen spielen, gab es Preise in Istanbul und Adana.

Thomas Engel