Miss Holocaust Survivor

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Ein Schönheitswettbewerb unter Überlebenden des Holocaust? Was sich wie ein zynischer Scherz anhört ist tatsächlich Realität und ist ein Wettbewerb, der seit einigen Jahren in Israel stattfindet. Bei einer der letzten Ausgaben war der polnische Regisseur  Radek Wegrzyn vor Ort, begleitete die Teilnehmerinnen und drehte die Dokumentation „Miss Holocaust Survivor“, die vielschichtige Fragen aufwirft.

Webseite: http://farbfilm-verleih.de/filme/miss-holocaust-survivor/

Deutschland 2022
Regie & Buch: Radek Wegrzyn
Dokumentarfilm

Länge: 90 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 9. November 2023

FILMKRITIK:

„I Will Survive“ lautet der Song, mit dem die 80, 90 Jahre alten Frauen auf die Bühne treten und sich beim Wettbewerb Miss Holocaust präsentieren. Zynisch? Oder genau das richtige Maß an Ironie, um dem Unvorstellbaren, dem Holocaust, etwas entgegenzustellen? Auch in Israel gehen die Meinungen über den seit 2012 stattfindenden Wettbewerb auseinander. Als „makabre Veranstaltung” bezeichnete Colette Avital, die Chefin der Holocaust-Organisationen in Israel, den Miss-Wettbewerb, während Teilnehmerinnen sagten: „Diese Veranstaltung war eine Befreiung für mich.” Endlich nicht mehr als Opfer gesehen werden, sondern als Frau, als Mensch, das scheint für viele der Teilnehmerinnen Motivation gewesen zu sein, an diesem Wettbewerb teilzunehmen.

Bei dem es natürlich nicht um äußerliche Schönheit ging, sondern um innere Werte: Die Juroren verbringen einige Tage mit den Teilnehmerinnen und fällen dann ein Urteil. Die meisten der zwischen 77 und 95 Jahre alten Teilnehmerinnen leben im Altenheim für Holocaust-Überlebende in der israelischen Hafenstadt Haifa, den beschämenderweise leben ein Viertel aller Holocaustüberlebenden in Israel unterhalb der Armutsgrenze. So präsent der Holocaust in der israelischen Selbstwahrnehmung auch ist: Die stetig weniger werdenden Menschen, die ihn am eigenen Laib erlebt haben, die in einem oder mehreren Konzentrationslagern unter nicht vorstellbaren Zuständen überlebten, werden dagegen an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Der polnische Regisseur Radek Wegrzyn setzt dem Vergessen und Verdrängen seinen Dokumentarfilm „Miss Holocaust Survivor“ entgegen, lässt die Überlebenden zu Wort kommen und beschreibt ihren Alltag in Israel, der sich durch den Miss-Wettbewerb in eine unerwartete Richtung entwickelt. Leichte, humorvolle Momente, in denen sich die alten Damen auf der Bühne bewegen, wechseln mit oft erschütternden Berichten über die Zeit in den Konzentrationslagern. Wenn etwa Rita davon erzählt, dass sie 19 Monate in einer Grube ausharren musste, die ein polnischer Bauer unter seinem Stall gebaut hatte. Als sie endlich wieder ins Freie konnte, machten ihre Beine nicht mit, sie musste das Gehen von neuem lernen.

Oder die inzwischen 95jährige Tova, die Bergen-Belsen und Auschwitz überlebte, schließlich nach Israel migrierte und dort acht Kinder gebar, acht „Soldatinnen und Soldaten die Israel verteidigen“, wie sie sagt. Ein Opfer wollte Tova nie wieder sein, ihr Leben aktiv bestimmen, sich keine grenzen mehr auflegen. Aus diesem Geist heraus wurde der Miss Holocaust-Wettbewerb ins Leben gerufen, der zwar aus unvermeidlichen Gründen nicht mehr allzu lange existieren dürfte. Aber solange er stattfindet zeigt er eine Möglichkeit, dem Holocaust die Stirn zu bieten.

 

Michael Meyns