Miss Viborg

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Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Solveij, einer Rentnerin auf Abwegen, und Kate, einem 17-jährigen rebellischen Teenie, bildet die Ausgangssituation für diese dänische Dramödie, in der es um zerstörte und wiedergefundene Träume geht, um verpasste Chancen, aber auch um den Ausbruch aus dem öden Alltag.
Der Film beeindruckt vor allem mit hübschen, schrägen Ideen, einem knorrigen Humor und guten schauspielerischen Leistungen – und Ragnhild Kaasgaard in der Hauptrolle ist eine echte Entdeckung.

Webseite: https://www.der-filmverleih.de

Dänemark 2022
Regie: Marianne Blicher
Drehbuch: Marianne Blicher, Rasmus Birch
Darsteller: Ragnhild Kaasgaard, Isabella Møller Hansen, Kristian Halken
Kamera: Martin Munch
Komponist: Bebe Risenfors

Länge: 99 Minuten
Verleih: Der Filmverleih
Kinostart: 20.04.2023

FILMKRITIK:

Auch an diesem Morgen lässt sich Solveij vom Radio wecken. Sie nimmt ihre Atemmaske ab, wuchtet sich aus dem Bett, nimmt eine Unmasse an Medikamenten und kümmert sich um ihren Hund, während sie von nebenan den Streit zwischen der Nachbarin und ihrer halbwüchsigen Tochter Kate mithört. Solveij ist Anfang 60 und Rentnerin. Sie lebt allein in ihrer kleinen Neubauwohnung in einer tristen dänischen Kleinstadt, die sie täglich mit ihrem Elektro-Rollstuhl durchquert. Solveij hat nämlich eine Art Nebenjob, mit dem sie ihre mickrige Rente aufbessert: Sie vertickt rezeptpflichtige Medikamente, ist also eigentlich eine Dealerin. Die Einnahmen aus ihren Geschäften spart sie, denn Solveig hat einen Traum: Sie möchte nach Spanien auswandern. Bis jetzt ist Solveij trotz aller gesundheitlicher und körperlicher Einschränkungen ganz gut ohne Hilfe ausgekommen, doch ein verknackster Knöchel ändert alles. Da trifft es sich gut, dass Kate ihr anbietet, sie zu unterstützen – gegen ein entsprechendes Honorar, versteht sich. Aus der ersten Annäherung zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, aus der möglicherweise beide etwas mitnehmen könnten. Aber die Frage ist, ob sie dafür schon bereit sind.

„Miss Viborg“ startet als Provinzkomödie über eine Frau, die einmal die Schönheitskönigin der dänischen Kleinstadt war, in der sie noch immer lebt, allein und nur mit ihrem Hund, der Poul Reichhardt heißt – nach einem bekannten dänischen Schauspieler, der unter anderem in den „Olsenbande“-Filmen mitspielte. Solveij, sensationell: Ragnhild Kaasgaard, ist eine ziemlich verbiesterte Einzelgängerin, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, mit dem sie in Höchstgeschwindigkeit durch die leeren Straßen des öden Städtchens brummt. Ihre einzige und wichtigste Verbindung zur Außenwelt ist der CB-Funk, mit dem die LKW-Fahrer auf ihren Touren Kontakt miteinander halten. Doch Solveij hat die Hoffnung auf ein besseres Leben noch nicht aufgegeben – sie will nach Malaga auswandern, wofür sie spart und spanisch lernt. Als Kate in Solveijs Leben tritt, wandelt sich das Bild und aus der Provinzkomödie wird ein Buddy-Film und schließlich ein Road-Movie: Die beiden gegensätzlichen Frauen kommen sich nur schwer näher, denn beide sind misstrauisch, weil sie im Grunde verletzlich sind. So wird ihre Freundschaft, die sie schließlich auch aus Viborg hinausführt, mit ständigen Herausforderungen konfrontiert. Dass sich der Film keinem Genre direkt zuordnen lässt, ist aber durchaus anerkennenswert. Eigentlich steckt auch noch ein Hauch von Love Story darin, denn zwischen dem LKW-Fahrer Preben Elkjær (wie der Fußballer ...) und Solveij entwickeln sich andeutungsweise zarte Bande. Die Handlung lebt dabei von den beiden tollen Darstellerinnen. Isabella Møller Hansen als Kate ist eine schlitzohrige Rebellin mit manchmal kindlichen Zügen, die sich mehr vom Gefühl als vom Verstand leiten lässt, was häufiger danebengeht, als ihr lieb ist. Wichtiger als das große Ganze sind hier die Details, die hübsch ausgedacht sind und viel Schwung in die liebenswerte Tragikomödie bringen.

 

Gaby Sikorski