Vergnüglicher Kinderspaß und feinsinnige Unterhaltung: Mit ihrem Debüt hat Barbara Kronenberg eine wundervoll überdrehte Komödie vorgelegt. Mit Seitenhieben auf sektenartige Gemeinden jeder Art, aber auch liebevollem Augenzwinkern schickt die Regisseurin eine 12-jährige Jungforscherin und einen 13-jährigen Autofreak auf eine turbulente Reise Richtung Weißrussland, inklusive witziger Anspielungen auf die Filmgeschichte und den aktuellen Zeitgeist.
Website: www.farbfilm-verleih.de
Deutschland/Luxemburg/Polen 2021
Regie: Barbara Kronenberg
Drehbuch: Barbara Kronenberg
Darsteller: Romy Lou Janinhoff, Hildegard Schroedter, Jonas Oeßel, Luc Feit, Anja Schneider
Länge: 92 Minuten
Verleih: Farbfilm
Kinostart: 12.01.23
FILMKRITIK:
Kindergottesdienst in einer freikirchlichen Gemeinde: Der Nachwuchs darf seine Talente in einer Art Varieté vortragen. Manche hüpfen ganz leidlich über die „Bühne“, andere scheitern grotesk. So wie die älteren Brüder von Ulja (Romy Lou Janinhoff), deren angeblich zersägtes Huhn der magischen Holzkiste längst entfleucht ist und munter herumflattert. Die frommen Kirchgänger nehmen derartige Missgeschicke ihrer Töchter und Söhne nicht krumm. Nur Ulja trifft der Zorn des Pastors (Luc Feit) wie ein gottgesandter Blitz. Die Zwölfjährige wagt es, als superschlaue Astronomin den Schöpfungsgedanken in Zweifel zu ziehen.
In ihrem Vortrag rechnet Ulja dem staunenden Publikum vor, dass der von ihr entdeckte Mini-Meteorit VR-24-17-20 in vier Tagen exakt im weißrussischen Patschurk einschlagen werde, genau 1257 Kilometer entfernt. Das müsse sich die Gemeinde unbedingt aus der Nähe anschauen. Unverschämte Gotteslästerung, wettern da der Pastor und Uljas streng religiöse Oma Olga (Hildegard Schroedter). Kurzerhand beschlagnahmen sie das Fernrohr des kecken Mädchens und anderes wissenschaftliches Gerät. Doch die zielstrebige Jungforscherin heckt Mittel und Wege aus, ihren Willen trotzdem durchzuboxen. Mit einem Kuhhandel bringt sie den 13-jährigen Henk (Jonas Oeßel) dazu, sie Richtung Osten zu fahren, ausgerechnet in dem von der Gemeinde geliehenen Leichenwagen, der in der Garage von Uljas Eltern steht.
Regisseurin Barbara Kronenberg hat ein Händchen für Komödien. Mit perfektem Timing, spitzen Dialogen und schräger Situationskomik überspielt sie die gewagten Prämissen ihrer Geschichte, die sich nur in der Zusammenfassung hölzern anhören. Oft reicht eine kurze Szene, um Charaktere zu skizzieren und Figurenkonstellationen zu umreißen. Etwa wenn der minderjährige Henk in einem aufgemotzten Poser-Auto die Dorfstraße entlangrast und ein quietschendes Schleudermanöver hinlegt. Oder wenn die beiden Kinder unbehelligt die offene Grenze nach Polen überschreiten und sich Henk darüber beklagt, das im ehemaligen Ostblock überhaupt keine Panzer auffahren und sowieso keinerlei Action angesagt ist. Kaum ausgesprochen, taucht im Rückspiegel schon ein unverschämter Drängler auf, der für neue Turbulenzen und einen weiteren Running Gag sorgt.
Auf der Oberfläche funktioniert „Mission Ulja Funk“ als herrlich abgedrehter Quatsch. Slapstick, Verfolgungsjagden und kuriose Wendungen garantieren unbeschwerte Unterhaltung. In gewisser Weise agieren Ulja und Henk als Paar wider Willen, ähnlich wie „Dick und Doof“. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Die schlaue Ulja ist die Größere und Schlanke, der pummelige Henk hingegen kann nach Einschätzung des Mädchens gar nichts – außer Autofahren. Das allein hätte für einen vergnüglichen Kinderfilm gereicht.
Doch die Regisseurin und Drehbuchautorin zieht in ihrem Debüt eine weitere, erfreulicherweise komplett unaufdringliche Ebene ein. Die dominante Ulja kann nämlich außer neunmalklug daherreden auch nicht allzu viel. Ihre Defizite in Empathie und echten Freundschaften kompensiert sie im einsamen Studium superkomplexer Theorien. Der Junge wiederum verfügt über andere Talente als das Superhirn. Er kommt gut mit anderen klar und findet in kniffligen Lagen den richtigen Ton. Außerdem gibt es keinerlei Grund, sich über seine mangelnden schulischen Leistungen lustig zu machen. Die Tatsache, dass seine Eltern das Verschwinden im Gegensatz zu Uljas aufgebrachter Familie gar nicht bemerken, spricht Bände.
„Mission Ulja Funk“ wurde mit Unterstützung der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ entwickelt und gewann beim Kinderfestival „Goldener Spatz“ 2021 den Preis für den besten Langfilm. Obwohl Kinder die eigentliche Zielgruppe sind, macht die Komödie auch Erwachsenen Laune. Im Hintergrund schwingt der Spott auf religiöse Eiferer jeder Couleur mit, aber auch die ernst gemeinte Auseinandersetzung mit Erfahrungen des Fremdseins – hier am Beispiel der Russlanddeutschen. Und natürlich ist die Reise gen Osten wie bei jedem guten Roadmovie eine doppelte: neben der physischen Begegnung mit anderen Menschen auch die innere Konfrontation mit den eigenen Defiziten. Und der Frage, wohin man eigentlich wirklich gehört.
Peter Gutting