Mit Liebe und Chansons

Die stimmungsvolle Dramödie nach einer wahren Geschichte mit Leïla Bekhti („Maria Montessori“) in der Hauptrolle, beginnt furios komisch und gewinnt immer mehr an Ernsthaftigkeit – doch der humorvolle und freundliche Ton bleibt glücklicherweise immer erhalten. Ken Scott („Die unglaubliche Reise des Fakirs, der in einem Kleiderschrank feststeckte“) hat mit leichter Hand die Autobiografie von Roland Perez inszeniert. Der gelernte Jurist ist seit den 1990er Jahren in Frankreich ein Medienstar.

 

Über den Film

Originaltitel

Ma Mère, Dieu et Sylvie Vartan

Deutscher Titel

Mit Liebe und Chansons

Produktionsland

FRA,CAN

Filmdauer

102 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Scott, Ken

Verleih

Neue Visionen Filmverleih GmbH

Starttermin

27.11.2025

 

Roland wird als jüngstes Kind einer marokkanisch-jüdischen Familie 1963 geboren – mit einer Behinderung, einer Art Klumpfuß, von ihm selbst „der Entwurf eines Fußes“ genannt. Er kann deshalb weder stehen noch laufen. Seine Mutter Esther (Leïla Bekhti) will die Behinderung nicht akzeptieren, sie schleppt ihren Sohn von Krankenhaus zu Krankenhaus und von einer Arztpraxis zur anderen, von einer OP zur nächsten. Aber ganz gleich, wen sie fragt oder wo Roland behandelt wird: Alle Spezialisten – einschließlich der Scharlatane und Geldschneider – sind der Meinung, dass Roland niemals ohne Hilfsmittel wie Schienen oder Gehstützen laufen wird. Doch Esther bleibt hartnäckig, sogar als das Jugendamt droht, ihr Roland wegzunehmen, weil er immer noch nicht zur Schule geht. Die fromme Esther hat eine Vision und eine Mission zugleich: Dieser kleine Junge, der so klug aus seinen großen dunklen Augen schaut und inmitten seiner Geschwister gewandt durch die Wohnung robbt, soll ganz allein und zu Fuß, ohne Gehhilfen, in die Schule gehen. Dafür bittet sie Gott als obersten Therapeuten um ein Wunder. Das Vorhaben gelingt tatsächlich, aber Roland muss dafür viele Monate zuhause im Bett verbringen, das im Wohnzimmer aufgebaut wird. Diese Behandlung macht das Kind zum TV-Junkie und zum größten Fan von Sylvie Vartain, dem Star der 60er/70er Jahre in Frankreich. Roland kennt alle ihre Songs auswendig und lernt schließlich mit ihnen sogar lesen und laufen.

Die lockere Komödie mit viel poppigem Flower-Power-Charme, farbenfroh und mit einem flockig hübschen Soundtrack, verändert sich in der Stimmung immer mehr, je älter Roland wird, bleibt aber tendenziell freundlich und humorvoll. Doch was dem kleinen Roland prophezeit wurde und was er selbst befürchtet hat, tritt nun ein: Er wird seine Mutter nicht mehr los. Während zunächst Leïla Bekhti als Esther die Handlung bestimmt, rückt Jonathan Cohen als erwachsener Roland immer mehr in den Mittelpunkt.

Leïla Bekhti („Maria Montessori“) ist als Esther von Anfang bis Ende ein echtes Naturereignis, gleichzeitig Sturm, Blitz, Donner, Hagel und Erdbeben – all das spielt sie mit unbändigem Charme. Sie behandelt ihren kleinen Sohn, das Sorgenkind, wie ihr Eigentum, und der kleine Roland macht auch alles brav mit, was die unerbittliche Mama sagt. Später spielt Bekhti die ältere Esther als noch immer dominante Mutter, die sich in alles einmischt, weil sie ihr mittlerweile erwachsenes Kind nicht loslassen kann, und zwar nun mit den Bewegungen und Gesten einer älteren Dame, sehr uneitel und ohne dabei zu übertreiben. Sie in diesem Film zu sehen, ist ein echtes Erlebnis – ganz große Schauspielkunst. Jonathan Cohen hat es nicht leicht, neben ihr zu bestehen. Er ist der Gegenpol zu seiner Mutter: ruhig, sanft, besonnen und geduldig, immer mit leiser Ironie.

Tatsächlich zerfällt der Film deutlich sichtbar in zwei Teile: Rolands Kindheit und Jugend mit einer alles beherrschenden Übermutter und Rolands Leben als Erwachsener, noch immer von der Mutter kontrolliert und bevormundet. Zunächst wird mit viel Ironie eine Komödie aus den 60er und 70er Jahren erzählt, die angenehm ironisch und prall gefüllt mit liebenswertem Witz daherkommt. Doch die lustig bunte Komödie mit dem Sixties-Flair geht über in einen deutlich ernsthafteren zweiten Teil, der sich – so wie in der Autobiografie – auf Rolands weiteres Leben bezieht, und das ist voller Hochs und Tiefs. Zu den Highlights gehört seine Freundschaft mit Sylvie Vartain, die er schließlich persönlich kennenlernt und als Anwalt vertritt, woraus sich eine persönliche Freundschaft entwickelt. Als Kind malt er sich noch heimlich mit einem schwarzen Edding ihre berühmte Zahnlücke an, um ihr ähnlich zu sehen. Sylvie Vartain, eine der Grandes Dames des französischen Chansons und mittlerweile schon jenseits der 70er, spielt sich hier selbst – nach wie vor eine beeindruckende Persönlichkeit.

Der zweite Teil dieses Films hat aber auch noch weitere Vorzüge. Nun wird Esther als Mutter, die Roland gängelt, zur tragikomischen Heldin. Sie kann und will ihn nicht loslassen, nicht einmal, wenn er verheiratet ist. Sicherlich ist der erste Teil der stärkere, was die Leichtigkeit und die Sixties-Atmosphäre betrifft. Doch auch wenn die Tragik dieser Mutter-Sohn-Beziehung, die sich über einen Zeitraum von bald 50 Jahren erstreckt, immer deutlicher wird, bleibt dankenswerterweise der Humor erhalten, und zwar in seiner liebenswürdigsten Form.

 

Gaby Sikorski

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