Die Schatten der Vergangenheit liegen auch Jahrzehnte später schwer auf der Hauptfigur von Kaweh Modiris Melodram „Mitra“, das lose auf dem Leben des iranischstämmigen Regisseur und seiner Familie basiert. Jasmin Tabatabai spielt darin eine Frau, die vor Jahrzehnten nach der Hinrichtung ihrer Tochter den Iran verlassen hat und sich nun zwischen Rache und Vergebung entscheiden muss.
Website: https://www.camino-film.com/filme/mitra/
Niederlande/ Deutschland/ Dänemark 2020
Regie & Buch: Kaweh Modiri
Darsteller: Jasmin Tabatabai, Mohsen Namjoo, Shnabnam Tolouei, Avin Manshadi, Dina Zarif, Sallie Harmsen
Länge: 107 Minuten
Verleih: Camino Filmverleih
Kinostart: 18.11.2021
FILMKRITIK:
70 Jahre ist Haleh (Jasmin Tabatabai) inzwischen, hat sich in den Niederlanden einen Namen als Psychotherapeutin gemacht, doch wirklich glücklich ist sie nicht. Ihr Konsum von Alkohol und Zigaretten deutet an, dass sie schwere Sorgen mit sich trägt, auch wenn die ursächlichen Ereignisse lange zurückliegen.
Anfang der 80er Jahre, kurz nach der Revolution, die aus dem säkularen Iran einen Gottesstaat machten, aus dem in kürzester Zeit viele westlich orientierte Intellektuelle und Regimekritiker flohen, wurde ihre Tochter Mitra (Dina Zarif) vom Geheimdienst verhaftet und bald darauf hingerichtet. Als Schuldige hat Haleh eine damalige Freundin ihrer Tochter ausgemacht: Leyla. Sie soll Mitra verraten und dem Regime ausgeliefert zu haben, ebenso wie Halehs Bruder Mohsen (Mohsen Namjoo), der nach Jahren im Gefängnis ein gebrochener Mann ist und zurückgezogen in Deutschland lebt.
Vergessen hat Haleh die Ereignisse nie, verdrängt schon, doch mit dem Auftauchen von Vertretern einer Organisation von Exil-Iranern wird das Vergangene wieder lebendig. Leyla soll sich in den Niederlanden aufhalten, mit einer neuen Identität leben. Fast widerwillig beginnt Haleh diesem Hinweis zu folgen und stößt auf Sare (Shnabnam Tolouei). Sie bietet der jüngeren Frau ihre Hilfe im für diese fremden Land an, wird zur Bezugsperson für deren Tochter Nilu (Avin Manshadi) und versucht die Frage zu beantworten ob Sare tatsächlich Leyla ist.
Ein Film über Schuld, den Wunsch nach Rache, die Notwendigkeit zu vergeben. Ein echtes Melodram ist „Mitra“, den der iranischstämmige, inzwischen in den Niederlanden lebende Autor und Regisseur lose nach Erlebnissen seiner eigenen Familie schrieb und inszenierte. In blassen Bildern erzählt er von Haleh, einer Frau, die sich ein äußerlich gutes Leben geschaffen hat, beruflich erfolgreich ist, beliebt bei den Kollegen, deren materielle Besitztümer jedoch nur die Leere in ihrem Innern zu übertünchen scheinen.
Doch auch die mögliche Rache an der Person, die möglicherweise für ihr Leid verantwortlich ist, wird daran nichts ändern, das wird ihr zunehmend klar, das ist der Kern von Modiris Erzählung. Statt wie in vielen anderen, gerade amerikanischen Filmen, den Wunsch, Rache zu nehmen, als kathartischen Moment zu zeigen, der erlittenes Leid wieder gut macht, bleibt „Mitra“ realistischer, aber auch hoffnungsloser.
Ausweglos wirkt die Situation für Haleh, die Jasmin Tabatabai als gebrochene Frau spielt, die ahnt, dass sie ihrem Schicksal nicht entkommen kann. Zwar ist die deutsche Schauspielerin, die selbst iranische Wurzeln hat, zu alt für die Szenen im Iran der frühen 80er und zu jung, um in den Szenen in der Gegenwart überzeugend als über 70jährige durchzugehen, doch Modiris stimmige Inszenierung lässt diese Irritation meist vergessen und macht „Mitra“ zu einem stimmigen Melodram über Rachegelüste und Vergebung.
Michael Meyns