Mondkalb

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Mondkälber hießen früher Kälber mit Missbildungen, die dem schädlichen Einfluss des Mondes zugeschrieben wurden. Bei Alex und Piet sind die Deformationen ebenfalls unübersehbar, aber höchst irdischer Natur. Alex schlug ihren Mann halb tot, Piets Frau  erhängte sich. Beide kommen mit dem, was geschah, nicht klar und suchen einen Ausweg. Sylke Enders inszeniert – mit Juliane Köhler und Axel Prahl in den Hauptrollen - die Begegnung dieser beiden von Schuld und Angst geplagten Menschen als permanentes Ringen mit offenem Ausgang. Liebe, so lernt man hier, ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.

Webseite: www.x-verleih.de

Deutschland 2007
Buch und Regie: Sylke Enders
Darsteller: Juliane Köhler, Axel Prahl, Leonard Carow
Länge: 102 Minuten; ab 12 Jahre
Verleih: X-Filme
Kinostart: 31. Januar 2008

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Alex zieht ins Haus ihrer Großmutter in einem ostdeutschen Nest und tritt ihre neue Stelle als Laborantin an. Sie kommt gerade aus dem Gefängnis und will vor allem eins: ihre Ruhe. Doch damit ist es schnell vorbei. Als sie eines Abends heimkommt, ist der Tisch gedeckt und ein kleiner Junge rennt aus dem Haus, das offenbar lange leer stand. Tom heißt der Knabe, der sich von Alex’ ruppiger Art nicht abschrecken lässt und immer wiederkommt. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Alex auch  Toms Vater Piet kennen lernt, der sich ebenso schnell wie sein Sohn für die neue Bewohnerin interessiert. Er wirbt um sie und lässt sie wissen, dass seine Frau sich umbrachte. Das ist nicht nur ein Vertrauensvorschuss, sondern der Versuch zu erklären, warum sein Sohn so verstockt ist und warum er offenkundig mit ihm überfordert ist. Als Alex seine Avancen zurückweist, laufen die Dinge aus dem Ruder. Tom flippt aus, als er die Situation erfasst, und sein Vater verliert die Beherrschung.
Zunächst scheint „Mondkalb“ Kurs auf ein Sozialdrama zu nehmen. Ostdeutsche Provinz, zerfallende Familien, Gewalt aus Ratlosigkeit. Doch ziemlich bald schält sich heraus, dass diese Bezüge nur Beiwerk für das Beziehungsdreieck sind, das mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Piet und Alex haben zwar Gemeinsamkeiten, die auf traumatischen Erlebnissen beruhen, doch ihre Vorstellungen, wie das Leben nun weitergehen könnte, liegen weit auseinander. Für Piet lautet die Formel: neue Frau, neues Glück. Für Alex bedeutet der Rückzug in die Einsamkeit die einzig denkbare Lösung. Und so gleichen ihre Begegnungen einer unablässiger Pendelbewegung: annähern und zurückweichen, sich öffnen und sich verschließen. Beide sind nicht in der Lage, ihre Denkbahnen zu verlassen und ihre Verhaltensmuster zu verändern. Diese Thema spielte schon in Sylke Enders’ Debütfilm „Kroko“ eine gewichtige Rolle, in dem sich eine junge Straftäterin nur sehr begrenzt in den Kosmos eines Behindertenwohnheims einfindet, in dem sie arbeiten muss.

Die Gewissheiten, die in den Biografien der beiden Hauptfiguren zu stecken scheinen – hier die Täterin, dort das Opfer -, löst Enders rasch auf. Alex ist eher scheu als cholerisch, Piet verprügelt ein ums andere Mal seinen Sohn. Das vielleicht Anregendste an diesem Film ist, dass Enders dem Zuschauer keine Chance gibt, die Figuren in eine Schublade zu stecken. Dazu sind sie zu vielschichtig, zu wenig typisiert und zentrale biografische Ereignisse bleiben im Dunkeln. So unterläuft die Regisseurin bequeme Urteile über Schuld und Sühne und verweigert eine wohlgefällige Auflösung. Am Ende steht jedenfalls nicht die Liebe, sondern allenfalls die Einsicht, sich Verantwortungen nicht entziehen zu können. Es ist nicht leicht, Figuren zu spielen, die sich nicht vom Fleck bewegen, ohne auf Dauer zu langweilen. Juliane Köhler lässt viele Facetten zwischen Verstörung, Trauer und Härte zum Vorschein kommen. Axel Prahl legt seinen Part sehr viel burschikoser an, als man es bei vergleichbaren Rollen, etwa in „Halbe Treppe“, von ihm kennt.

Volker Mazassek             

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Alex will ihr Leben neu ordnen. Sie kommt aus dem Gefängnis. Etwas Schlimmes scheint sie einst ihrer Tochter angetan zu haben, die jedenfalls nichts mehr von ihr wissen will. „Ruf mich nie wieder an“, sagt die Fünfzehnjährige am Telefon zu ihrer Mutter.

Alex zieht sich in ein einfaches Häuschen am Dorfrand zurück. Sie hat zwar eine neue Arbeit gefunden, will aber vor allem allein sein, sich besinnen, alles wieder in den Griff kriegen.

Doch da scheint noch einer einsam zu sein: Tom Hatzky, der Sohn des Nachbarn, ein sich eher rätselhaft verhaltender, verschreckter, aber auch zorniger Junge, der offenbar von seinem Vater ganz und gar nicht kindgerecht behandelt und erzogen wird. Tom sucht immer wieder Alex’ Nähe.

Und da ist dann auch noch Piet Hatzky, Toms Vater, dessen Ehefrau sich vor vier Jahren erhängte. Piet, der offenbar mit seinem Alleinsein, seiner Erziehungsaufgabe und überhaupt mit sich selbst nicht zurecht zu kommen scheint, versucht mehrere Male, sich mit Alex anzufreunden. Doch immer wieder prallt er ab.

Erst am Schluss, als mit dem von Piet verschuldeten Weggang Toms zu Adoptiveltern die allgemeine Traurigkeit ihren Höhepunkt erreicht, entsteht zwischen Alex und Piet auch ein Funken Zusammengehörigkeitsgefühl und vor allem Hoffnung für die Zukunft.

Stilistisch konsequent, mehr auf Innerlichkeiten denn auf Äußeres gerichtet, mit knappen Gesten und Worten ist das alles in langsamem Rhythmus und in einfachsten Bildern angedeutet und inszeniert. Glaubhaft ist es vor allem deshalb, weil Juliane Köhler als Alex und Axel Prahl als Piet ihre Parts so überzeugend spielen. Beide beweisen, dass sie Profis auf ziemlich hohem Niveau sind. 

Vergnügliche Unterhaltung darf man allerdings nicht erwarten. Man muss schon eher auf Schweres, Depressives, sogar Trauriges gefasst und dazu bereit sein. Immerhin Prädikat „besonders wertvoll“.

Thomas Engel