Müll im Garten Eden

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Er steckt mitten in den Vorbereitungen zum Dreh seines neuen Spielfilms „The Cut“, aber erst einmal bringt Fatih Akin seine dritte Doku in die Kinos. In „Müll im Garten Eden“ erzählt er von der von Menschen gemachten Katastrophe, die das Heimatdorf seiner Großeltern in der Türkei seit geraumer Zeit heimsucht. Die traumhafte Natur dort wird von einer Mülldeponie verschandelt, vergifet und zerstört. Der Sturmlauf der Dorfbewohner gegen die Politik gleicht einem Kampf gegen Windmühlen.

Webseite: www.pandorafilm.de

Deutschland 2012
Buch und Regie: Fatih Akin
Kamera: Bünyamin Seyrekbasan, Hervé Dieu
Schnitt: Andrew Bird
Länge: 98 Minuten
Kinostart: 6. Dezember 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Çamburnu liegt an einem Hang über dem schwarzen Meer. Im Sommer ist es heiß und feucht, im Winter regnet es viel. Seit Generationen leben die Bewohner hier von Teeanbau und Fischfang. Aber der Einklang zwischen Mensch und Natur ist zerstört, seitdem dort eine schlecht geplante Mülldeponie die Umwelt verseucht. Durch den ungenügend abgedichteten Grund sickert Gift ins Grundwasser, zur Regenzeit läuft die Deponie regelmäßig über und spült den Müll die Abhänge hinunter, die Abwässer verpesten die Flüsse und das Meer, Heerscharen von Vögeln und Hunden suchen nach Essensresten. Die Einwohner von Çamburnu und ihr Bürgermeister legen sich regelmäßig mit Politikern an, wollen die Schließung erzwingen. Aber sie verlieren alle Gerichtsverfahren, und vor Ort werden sie immer wieder vertröstet. Auf ihre immer drängenderen Fragen antworten die Verantwortlichen mit einem Achselzucken und Aussagen wie „Das regelt die Erde schon selbst“. Inzwischen kehren immer mehr Familien ihrer Heimat den Rücken.

Fatih Akin kommt erstmals 2005 mit seinem Vater nach Çamburnu. Die Landschaft und das Dorf seiner Großeltern begeistern ihn so sehr, dass er das Finale seines Films „Auf der anderen Seite“ hier dreht. Damals erfährt Akin von der geplanten, schon im Bau befindlichen Deponie und beschließt, wie er im Presseheft sagt „ganz naiv“, mit einem Film und der Hilfe seiner Pouplarität die Pläne zu stoppen. Aber so leicht lässt sich die lokale Politik nicht aufhalten, und aus der Aktion wird ein Langzeitprojekt. Die Deponie wird eröffnet, und Akin dokumentiert die Folgen. Dazu reist er in den kommenden Jahren oft selbst in die Türkei, überlässt die Hauptarbeit aber dem Dorffotografen, der einen Kamera-Crashkurs erhält und bei dramatischen Entwicklungen immer sofort vor Ort ist.

In „Müll im Garten Eden“ steckt noch immer der Protestfilm, den Akin anfangs im Kopf hatte. Er zeigt die ungeheuren Massen von Müll, die Sturzbäche schwarzen Abwassers, lässt den Zuschauer den allgegenwärtigen Gestank nachempfinden. Dagegen schneidet er den Kampf der Dorfbewohner, die Proteste vor allem der Frauen, die erregten Diskussionen zwischen Bürgern und Angestellten der Deponie. Der Film geht aber darüber hinaus und wird zu einem Porträt der absurden örtlichen Politik, die die Probleme erkennt, eine einmal gefällte Entscheidung aber nicht wieder rückgängig machen will. Sie pocht darauf, dass die Deponie einen Fortschritt darstellt, weil der Müll vorher einfach ins Meer gekippt wurde. Dass die fehlgeplante Deponie das Problem aber lediglich mitten in ein Wohngebiet verschiebt, ist eines der vielen vernünftigen Argumente, die bei den Verantwortlichen nicht verfangen. Schade, dass Fatih Akin diesen Aspekt nicht etwas vertieft. Überhaupt scheint der Film streckenweise etwas weit entfernt von den handelnden Personen, die häufig nur in Form von talking heads inszeniert werden. Auch ein wirklicher Erzählrythmus will sich nicht einstellen. Damit wird „Müll im Garten von Eden“ den Charakter eines Nebenprojektes nicht ganz los. Ein eindrucksvolles Dokument fehlgeleiteter Politik bleibt der Film aber allemal!

Oliver Kaever

Fatih Akins Familie stammt aus dem Bergdorf Camburnu unweit der türkischen Schwarzmeerküste. Es ist eine paradiesische Gegend, friedlich und weit weg von Ankara oder Istanbul. Seit Generationen leben die Menschen dort auf die gleiche Art: vom Fischfang und vom Teeanbau.

Dann plötzlich, Anfang dieses Jahrtausends ein behördlicher Tiefschlag. Aus einer aufgelassenen Bergbaugrube soll eine riesige Mülldeponie entstehen. Das Problem: Der gewählte Platz grenzt an die Ortschaft, manche Häuser stehen unmittelbar daneben.

Die Deponie wird gebaut – und aufgefüllt. Der Gestank ist unausstehlich, das Wasser verschmutzt und giftig, das vorgesehene Klärbecken viel zu klein. Der Müll aus vielen Dörfern und aus der Stadt Trapezunt wird herangeschafft. Das Leben der Dorfbewohner wird immer weniger lebenswert.

Der Bürgermeister steht natürlich auf der Seite seiner protestierenden Bürger, aber die Bürokratie ist unerbittlich. Er wird sogar gerichtlich belangt und verurteilt – wegen der Weigerung, nötige Einwilligungen zu geben. Einstweilige Verfügungen, durch die das Bauvorhaben hätte aufgeschoben werden können, gibt es im türkischen Recht nicht.

Was, wenn zu starker Regen fällt und eine Überflutung unausweichlich ist?

Die Katastrophe lässt denn auch nicht auf sich warten. Wegen des Baus einer „Schutzmauer“ wird der Druck zu stark, die Kläranlage stürzt zusammen. „Sie ist explodiert“, sagen die Menschen. Der Schlamassel ist da, der Ort sieht furchtbar aus, die jungen Leute verlassen die Gegend. Irgendwann, in Jahren, wird die Deponie geschlossen. Aber wie lange wird es dauern, bis wieder normales Leben einkehren kann?

Weil Fatih Akin ein anerkannter Regisseur ist, wurde den vielen negativen Vorgängen Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht wird das Umweltbewusstsein endlich stärker, natürlich nicht nur in der Türkei. Geschieht das nicht überall, wird die Menschheit eines Tages zugemüllt sein.

Es ist ein nüchterner Dokumentarfilm, der über Jahre die Geschehnisse verfolgt hat. Ein gutes und warnendes Beispiel mehr dafür, wie höchste Zeit es ist.

Thomas Engel