My Stolen Planet

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Seit vor gut zwei Jahren die 22-jährige Iranerin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam starb, ist das autokratische Regime einmal mehr in aller Munde. Sicher auch ein Grund für die Vielzahl an Spiel- und Dokumentarfilmen, die sich auf die ein oder andere Weise, aber stets kritisch mit dem Iran auseinandersetzen und in diesen Monaten ins Kino kommen, so wie nun Farahnaz Sharifi essayistischer Dokumentarfilm „My Stolen Planet.

My Stolen Planet
Deutschland 2023
Regie & Buch: Farahnaz Sharifi
Dokumentarfilm

Länge: 82 Minuten
Verleih: Little Dream Pictures
Kinostart: 12. September 2024

FILMKRITIK:

In den Jahren nach der islamischen Revolution wuchs Farahnaz Sharifi in Teheran auf, in jener Phase in den 80er Jahren also, als der Revolutionsführer Ajatollah Khommeni und seine Gefolgsleute immer restriktiver agierten und die Freiheiten, besonders die der Frauen, stetig einschränkten.
Irgendwann in diesen Jahren wurde der jungen Sharifi klar, welche Bedeutung es hatte, dass sie außerhalb des Hauses der Familie Hijab tragen musste, ihn aber sofort abnahm, wenn sie nach der Schule wieder hinter den sicheren Mauern ihres zu Hauses verschwand. Als zwei Welten, zwei Planeten beschreibt die erwachsene Sharifi diesen Bruch, den sie als Leitfaden ihres essayistischen Dokumentarfilmes „My Stolen Planet“ verwendet.
Schon in jungen Jahren begann Sharifi mit einer Super8-Kamera zu filmen, private Bilder in den Räumen der Familie, wo das Leben frei von den Restriktionen der Gesellschaft abläuft. Diese Bilder sind ein Teil des Archivmaterials, aus dem Sharifi ihren Kollagenhaften Film geformt hat.
Ein Großteil der Bilder sind jedoch zufällig gefunden, auf Flohmärkten oder anderen Gelegenheiten erstanden, willkürliches Material von ihr unbekannten Iranern, die als Ganzes jedoch dennoch eine Geschichte des Irans und seiner Menschen formen. Zwischen Innen und Außen bewegt sich die Erzählung dabei, zwischen ausgelassenen Feiern, bei denen im privaten Kreis gesungen und getanzt wird und einem Außen, das von mal stärker, mal schwächer wirkenden Repressionen geprägt ist.
Bis es irgendwann zu viel wurde und Sharifi nach Deutschland emigrierte. Mit dem Handy drehte sie in dieser Phase noch, hatte die Kamera auf dem Armaturenbrett ihres Autos montiert, um Bilder von den Straßen Teherans zu filmen, nicht zuletzt den riesigen, anti-westlichen Plakaten, mit denen das Regime seine Botschaft an die Massen zu bringen versucht. Aber auch riskant anmutende Momente, in denen sie das Handy offenbar in der Hand hielt, während sie an Polizisten und anderen Sicherheitsbeamten vorbeigeht, allein deswegen nur knapp an der Verhaftung vorbei.
Handys erwiesen sich in den letzten Jahren, nicht nur im Iran, ohnehin als das Mittel, um ein Regime zu entblößen. Im Zuge des Todes von Jina Mahsa Amini und den anschließenden Protesten, die von der Polizei oft mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurden, waren es mit Mobiltelefon aufgenommen Bilder, die um die Welt gingen. Gestört hat dies das Regime in Teheran offenbar nicht, vielleicht war die Taktik auch einfach weitermachen, in der Erwartung, dass die Proteste und vor allem das Interesse des Auslandes schon irgendwann nachlassen würde.
Zunehmend erscheinen nun Spiel- und Dokumentarfilme, die diese Handybilder nutzen, in Spielhandlungen oder Bilder-Kollagen einflechten und sich damit als unmittelbare Zeugen dieser speziellen Zeit positionieren. Auch Farahnaz Sharifi „My Stolen Planet“ zählt dazu und endet dementsprechend mit der Handy-Aufnahme eines jungen Mädchens, das „Frauen, Leben, Freiheit“ skandiert, ein Zeichen des Widerstandes. Ob er erfolgreich werden wird, muss derweil offenbleiben.

Michael Meyns