New York – Die Welt vor deinen Füßen

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Der Wanderer, der Flaneur genießt gerade in unseren von ständiger Beschleunigung geprägten Zeiten besondere Attraktivität. Warum das so ist, ahnt man am Ende von Jeremy Workman Dokumentation „New York – Die Welt Vor Deinen Füßen“, die den Amerikaner Matt Green dabei beobachtet, wie er das Gehen auf die Spitze treibt und durch sämtliche Straßen New Yorks spaziert.

Website: www.24-bilder.de

Originaltitel: The World Before Your Feet)
Dokumentation
USA 2018
Regie: Jeremy Workman
Länge: 95 Minuten
Verleih: Happy Entertainment
Kinostart: 12. März 2020

FILMKRITIK:

Warum tut jemand das? Jede Straße von New York City zu Fuß abzulaufen, und New York ist groß! Gut 15.000 Kilometer Straßen und Gassen, Pfade und Wege gibt es in den fünf Bezirken Manhattan, The Bronx, Brooklyn, Queens und Staten Island und jeden einzelnen Meter hat der aus Virginia stammende, seit Jahren in New York lebende Matt Green betreten.

Gut sechs Jahre dauerte dieses Unterfangen, knapp die Hälfte davon wurde Green immer wieder von seinem Freund, dem Dokumentarfilmregisseur Jeremy Workman, begleitet. Das Ergebnis heißt „New York – Die Welt Vor Deinen Füßen“ und ist ein erstaunlicher Film.

Über allem steht zu Beginn die Frage des Warum. Warum hat sich Green auf dieses Abenteuer begeben? Sein Leben verlief jahrelang in konventionellen Bahnen, er hatte einen Job als Ingenieur, doch mit Ende 20 stellte er fest, dass er etwas anderes machen wollte. So begab er sich auf eine Wanderung quer durch die USA, von New York an der Atlantikküste, bis nach Oregon am Pazifik. Etwas über 3000 Meilen waren das, die Green in möglichst direkter Linie bewältigte, geleitet von google maps.

Zum ersten Mal – so erzählt es Green – baute er eine Reiseroute nicht um bestimmte Ziele, um bekannte Sehenswürdigkeiten herum, sondern ließ den Zufall das Programm übernehmen. Nicht das schon Bekannte war Ziel der Reise, das Unbekannte erwies sich als besonders bemerkenswert. Dieser Haltung folgt Green auch bei seinen Gängen durch New York, diese Haltung so überzeugend zu vermitteln, macht Workmans Film zu einer sehenswerten Dokumentation.

Seit Beginn seines Projekts führte Green ein Online-Blog, stellte Fotos auf seine Seite, nicht Bilder von erwartbaren Sehenswürdigkeiten, sondern von all dem, was man beobachten kann, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht. Und vor allem mit einer nie erlöschenden Neugier: Egal ob er die vielfältige Flora und Fauna beschreibt, die sich auf den New Yorker Straßen findet, die lange, vielseitige Geschichte der Stadt an manchmal allzu leicht zu übersehenden Ecken findet oder mit unterschiedlichsten Menschen plaudert, jeder Tag, jeder Gang bietet neues.

Vor allem die Begegnungen mit New Yorkern aller Rassen und Klassen deutet dabei an, warum das Gehen in der menschlichen Kultur immer noch einen besonderen Stellenwert hat, auch wenn dies oft vergessen wird. Wenn Green mit Passanten oder Autofahrern, mit Kindern oder Greisen ins Gespräch kommt, schlägt ihm zunächst fast immer Befremden über sein auf den ersten Blick absurd anmutendes Projekt entgegen, das jedoch schnell in Faszination und auch Bewunderung umschlägt. Gerade weil Green kein besonderes Ziel mit seinem Projekt verfolgt, keine Absichten hat, seine Erlebnisse in einem Buch zu beschreiben, es einfach nur tut, weil es möglich ist, macht sein Vorhaben so anachronistisch. Aber auch zu einem für die meisten Menschen zwar zu radikalen Ansatz, an dem man sich dennoch orientieren könnte: Als Beispiel für eine Art zu leben, die nicht Profit- oder Erfolgsorientiert ist sondern zwei der ursprünglichsten menschlichen Handlungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit setzt: Gehen und Sehen.

Michael Meyns