Nirgendwo

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Im Niemandsland zwischen Jugend und Erwachsensein, zwischen Freiheitsgefühlen und dem Ernst des Lebens siedelt Matthias Starte seinen Debütfilm "Nirgendwo" an. Sechs Freunde in einem Dorf in der Provinz suchen darin nach dem Sinn des Lebens und sich selbst, was vor allem in seinen impressionistischen Momentaufnahmen überzeugt.

Webseite: http://nirgendwo-derfilm.de

Deutschland 2016
Regie & Buch: Matthias Starte
Darsteller: Ludwig Trepte, Saskia Rosendahl, Amelie Kiefer, Dennis Mojen, Ben Münchow, Frederik Götz, Jella Haase
Länge: 105 Minuten
Verleih: polyband
Kinostart: 27. Oktober 2016
 

FILMKRITIK:

Mehr um seinem Vater einen Gefallen zu tun, als aus eigenem Antrieb studiert Danny (Ludwig Trepte) BWL, was so ziemlich das genaue Gegenteil seines eigentlich Traums ist: der Photographie. Vor Jahren ist schon seine Mutter gestorben, nun erreicht ihn die Nachricht, dass auch sein Vater tot ist. Zum ersten Mal seit langer Zeit kehrt der Mittzwanziger in seine Heimat zurück, wo die alten Freunde immer noch oder wieder leben.
 
Vor allem ist da Dannys Jugendliebe Susu (Saskia Rosendahl), die vom glücklichen Familienleben träumt, am liebsten mit Danny. Seine Ziehschwester Kirsten (Amelie Kiefer) ist da schon weiter, ist schwanger, will aber nicht verraten von wem. Seine Kumpels Fresi (Frederik Götz), Rob (Dennis Mojen) und Tom (Ben Münchow) meistern ihr Leben mehr oder weniger, Tom im Duo mit Mischa (Jella Haase), die sich nicht recht entscheiden kann, ob Tom der Richtige für sie ist.
 
Eigentlich will Danny nur schnell die Beerdigung seines Vaters hinter sich bringen, doch etwas hält ihn zurück. Zum einen Susu, mit der er wieder zusammenkommt, vor allem aber das Gefühl, dass da noch etwas anderes sein kann, in seinem Leben, etwas anderes als BWL zu studieren. Als er zufällig einen alten Brief seiner Mutter findet, beginnt der Wunsch zu wachsen, noch einmal neu anzufangen und endlich das Leben zu führen, dass er wirklich will.
 
Viel Personal fährt Matthias Starte in seinem Debütfilm auf, viele Figuren bevölkern die Welt einer unbestimmten Kleinstadt, mit typischen Merkmalen eines Coming-of-Age-Films: Reihenhaussiedlungen mit weiten Gärten, in denen am Pool herumgelungert werden kann und auch mal wilde Partys gefeiert werden, ein malerischer See lädt zum ums Feuer sitzen ein, inklusive romantischem Sonnenuntergang, verfallene Fabrikanlagen suggerieren Verfall, die Vergänglichkeit von Träumen und der Unbeschwertheit der Jugend.
 
Jedes Element in "Nirgendwo", jeder Ort und jede der Figuren scheint einen bestimmten Ausschnitt der Welt zu symbolisieren, unterschiedliche Typen und Charaktere, andere Lebensvorstellungen und Möglichkeiten. Von jahrelanger Drehbuchentwicklung zeugt diese Vielfalt, der langen, vielleicht auch zu langen Beschäftigung mit einer Geschichte, wie sie das Kino liebt. Nicht immer sind die Figuren und Entwicklungen glaubwürdig, die Metaphorik oft etwas bemüht, die Kontraste wenig subtil.
 
Und doch hat "Nirgendwo" eine ganz eigene Qualität, entwickelt oft eine besondere Atmosphäre, die das Offensichtliche seiner Lebensweisheiten ("Die beste Zeit ist immer jetzt!") nicht banal, sondern wahrhaftig erscheinen lässt. Das liegt an den Darstellern, die zwar etwas zu alt für ihre Rollen wirken, aber als Ensemble eine eingeschworene Einheit bilden und gerade in den vielen impressionistischen Szenen überzeugen. Sei es beim Lagerfeuer am See, beim Autofahren durch die Pampa, den Partys und den Momenten des Innehaltens: Gerade wenn nicht unmittelbar etwas erzählt werden soll, sondern Stimmungen evoziert werden, ist der Film ganz bei sich. Zusammen mit seinem Kameramann Thomas Schiller gelingt es Starte in diesen Szenen, dieses unbestimmte Gefühl einzufangen, zwischen Jugend und Erwachsensein, das langsame Vergehen der Unbeschwertheit, die noch nicht vom sprichwörtlichen Ernst des Lebens abgelöst wurde. Erzählerisch mag "Nirgendwo" oft holpern, als atmosphärisches Stimmungsbild seiner Generation kann Matthias Startes Debütfilm dagegen überzeugen.
 
Michael Meyns