Nulpen

„Summer in the City“ … was macht man an einem drücken heißen Tag in Berlin, wenn man ein Teenie ohne Plan ist? – Im Prinzip hat man zwei Möglichkeiten: Abhängen und chillen, oder jede Menge Mumpitz machen, am besten alles, was einem so gerade durch den Kopf schießt.
Ramona und Nico, die Protagonistinnen von Sorina Gajewskis Coming-of-Age-Film „Nulpen“ wählen die zweite Option, die sie auf eine Irrfahrt durch das vor Hitze förmlich glühende Berlin und zu jeder Menge schräger Begegnungen führt. „Nulpen“ zeigt Berlin durch die Augen der „Generation Z“ und verweigert die Antwort auf jede Menge Fragen, die wir gar nicht gestellt haben. Kleiner Film – ganz groß, denn die Komödie ist extrem witzig, unterhaltsam und frisch.

 

Über den Film

Originaltitel

Nulpen

Deutscher Titel

Nulpen

Produktionsland

DEU

Filmdauer

75 min

Produktionsjahr

2024

Regisseur

Gajewski, Sorina

Verleih

n.n.

Starttermin

05.03.2026

 

Am Anfang steht ein Kunstschuss mit der Zwille, der die Fensterscheibe des nervenden Nachbarn zerstört. Der hat sofort Mona und Nico im Verdacht und klabautert vor der Wohnungstür rum. Dann besinnt er sich auf seine eher rudimentären pädagogischen Fähigkeiten und versucht die beiden durch das Übertragen von Verantwortung auf den rechten Weg zu führen: Er bittet sie, auf seinen wertvollen Vogel aufzupassen. Keine gute Idee, denn natürlich öffnen die beiden als erstes die Käfigtür und schenken dem Piepmatz die Freiheit. Es dauert auch gar nicht lange, bis ihnen dämmert, dass dies vielleicht doch nicht die beste aller Ideen war. Zögerlich begeben sie sich auf die Suche nach dem entflohenen Federvieh, an der sich auch Jonas elfjähriger Bruder Noah, eine begnadete Nervensäge, ungefragt beteiligt. Während Fridays for Future demonstrierend der Hitze trotzt, stolpert das verpeilte Trio Infernale ziel- und hoffnungslos quer durch Berlin und gerät auf der Suche nach dem eigenen Weg in andere, mehr oder weniger irre Lebensgeschichten hinein und auch wieder hinaus … um ganz am Ende so etwas wie einen Anfang zu finden.

Natürlich suchen Mona und Nico nicht einfach nur nach einem dämlichen Vogel, sondern sie suchen nach Antworten auf die ganz großen Fragen, nach dem Sinn des Lebens, nach ihrem Platz in der Welt und dem eigenen Weg, nach dem Ort, der als Sprungbrett für die Zukunft geeignet ist … Der Reiz von Sorina Gajewskis flirrend-leichtfüßigem Film liegt darin, dass die Protagonistinnen gar nicht wissen, dass sie diese Fragen stellen. Sie wollen eigentlich bloß herumlungern und irrwitzige Sprüche klopfen, wobei sie sich als wahre Meisterinnen ihres Fachs erweisen. Wer diesen Film gesehen hat, wird nie wieder von Silberfischen oder Spinnen hören können, ohne sofort an Mona und Nico zu denken.

Natürlich ist „Nulpen“ auch ein moderner Berlin-Film, der jedoch – im Gegensatz zu einigen seiner Vorgänger – eine Ehrlichkeit, Authentizität und Direktheit verströmt, die trotz der durchweg leisen Töne, mit denen der Film arbeitet, eine geradezu berauschende Wirkung hat. „Sehn’se, det ist Berlin“ würde der Opa rufen, wenn er denn kapieren würde, was Mona und Nico umtreibt, die beide (Achtung, nicht vergessen!) auch die Zukunft dieser Stadt verkörpern: die Sehnsucht nach Leben, auch wenn alles um einen herum „No Future!“ brüllt, der unbedingte Wille, absolut chilligen Momenten Unvergesslichkeit zu verleihen: „Nulpen“ ist heutiges Lebensgefühl pur.

Wer die Komödie allerdings mit Touristenaugen betrachtet, zum Beispiel, um die Protagonistinnen vor ikonischen Berliner Locations agieren zu sehen („Da war ich auch schon mal!“), wird kaum etwas wiedererkennen: „Nulpen“ wird konsequent aus der Perspektive von Jugendlichen erzählt, die ihre eigenen Wege gehen und sich an eigenen Orten treffen. Manchem mag dieser Blick auf Berlin nicht stylish genug erscheinen, manches entspricht nicht unbedingt ästhetischen Ansprüchen, aber das liegt wie so oft im Auge des Betrachters. Wer sich auf die Geschichte einlässt, wird auch von dem spröden „look and feel“ angetan sein.

Nicht von ungefähr erinnert „Nulpen“ an einige Filme der „Nouvelle Vague“. Klassische, um nicht zusagen: ikonische Filme wie „Sie küssten und sie schlugen ihn“ oder „Paris gehört uns“ sind direkte Paten der „Nulpen“. Doch man muss weder Filmhistoriker noch Cineastin sein, um sich schlanke 75 Minuten lang in diesem Kinodebüt, dessen Drehbuch mit dem Preis des MDR-Rundfunkrats ausgezeichnet wurde, bestens zu amüsieren. Zusätzlich kann man einiges über die vielgescholtene Generation Z erfahren. Dabei geht Sorina Gajewski in ihrem Film wesentlich differenzierter zu Werke als die Akteure des Feuilletons, die derzeit die xte Version eines Generationenkriegs durchspielen.

Mona und Nico haben jedenfalls überhaupt kein Interesse daran, jemanden zu kritisieren, geschweige denn, ältere Menschen irgendwie in den Senkel zu stellen. Wie jede Generation vor ihnen suchen auch die Z’ler ihren Weg, der zugegebenermaßen in diesen Zeiten besonders schwer zu finden ist. Auch Mona und Nico finden am Ende ihrer Suche nach dem verlorenen Vogel kein Patentrezept dafür, wie sie ihre Zukunft meistern könnten. Das wäre vielleicht auch etwas zu viel erwartet von einem Sommertag in Berlin. Dafür entdecken sie etwas, das sich wie Anfang anfühlt – ein Anfang auf einem ungewissen und schwierigen, aber sicherlich spannenden Weg.

 

Gaby Sikorski

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