Ob ihr wollt oder nicht!

Zum Vergrößern klicken

Das Thema Sterbehilfe hat nicht unbedingt das Zeug zum Publikumsrenner. Ben Verbongs durchaus gewollt irritierende Geschichte einer kranken jungen Frau ist zwar nicht großes Kino und frei von Rollenklischees, hat aber dennoch das Zeug zur warmherzigen Komödie, da hier nicht der Tod, sondern die Absurdität des Lebens gefeiert wird.

Webseite: 3l-film.de

Deutschland 2009
Regie: Ben Verbong
Buch: Katja Kittendorf & Karin Howard
Darsteller: Katharina Schubert, Julia Maria Köhler, Senta Berger, Christiane Paul, Anna Böger, Jan Decleir, Jan Gregor Kemp, Mark Waschke
Länge: 92 Minuten
Verleih: 3L Film
Kinostart: 30.4.2009

PRESSESTIMMEN:

"Verbong bürstet vielmehr mit Hilfe seiner beiden Autorinnen die weitverbreiteten Konventionen des Themas gegen den Strich. Er will mit seinem Film irritieren, verstören, ja provozieren. Natürlich konsequent und pointiert mit dem Finale des Films: der Regisseur plädiert für die Sterbehilfe und inszeniert sie als emotionalen Kernpunkt des Films. "Das ist mein Statement für jene Freiheit, von der ich spreche“, bekennt Verbong. Aber die Irritationen setzen schon weit vorher ein, sie kommen vor allem durch die ironisch-groteske Tonlage des Films, durch das Beschwören komischer und absurder Situationen. - Prädikat: wertvoll."
Filmbewertungsstelle Wiesbaden

 

 

FILMKRITIK:

War Michael Kliers „Alter und Schönheit“ noch eine behutsame Dramödie über Männerfreundschaften und den Tod, versucht sich Ben Verbong nun an einem Pendant für das weibliche Geschlecht. Sein Film steht dabei grob in der Tradition des New-Sincerity-Genres und Filmen wie „Little Miss Sunshine“ oder „Sunshine Cleaning“. Der Tod in seiner schwarzhumorigen Komponente und der Wert der Familie sind auch in „Ob ihr wollt oder nicht“ das eigentliche Überthema, während die Eigenarten der einzelnen Mitglieder auf interessante Weise ausgelotet werden. Sterben und lieben – bereits der Filmtitel deutet es an, innerhalb einer Familie geht man durch dick und dünn, Blut ist dicker als Wasser, ob man es nun will oder nicht. Niemand kann sich dagegen wehren.

Laura (Katharina Schubert) ist die jüngste von vier Schwestern und hat Krebs. Die Chancen auf Heilung stehen nicht gut, die Chemotherapie sorgt für keine ersehnte Rettung. Sie bricht die Behandlung ab und fährt verwirrt und unangemeldet ins norddeutsche Elternhaus, wo sie auf ihre verständnislose Mutter (Senta Berger) trifft. Die Schwestern eilen aus allen Teilen der Republik herbei, um Laura zu überreden, ihre Therapie wieder aufzunehmen, doch das Unterfangen wird schwieriger als gedacht.

Natürlich lebt der Film wie jede gute Familienkomödie von Momenten der Groteske, der Peinlichkeit und niemals ausgesprochener Geheimnisse. Zum ersten Mal nach vielen Jahren offenbaren sich die Schwestern untereinander, lachen und weinen über Orgasmusprobleme oder analysieren verschiedene Phänomene wie Beziehungsunfähigkeit, vergangene Scheidungen oder verwirrte Männer. Dabei diskutiert der Film das familientypische Rollenverhältnis ihrer einzelnen Mitglieder, welches ein Leben lang vorherrscht: Das Küken bleibt das Küken, der Vater der Patriarch und die Erstgeborene erfüllt ihre Rolle als Ersatzmutter. In diesen Momenten lacht man über die Absurdität des Lebens und damit auch des Todes, der von seiner Schwere befreit wird und zu etwas Natürlichem wird.

Den schwierigen Spagat zwischen emotional anspruchsvoller Unterhaltung und grotesker Komödie meistert Regisseur Ben Verbong dabei überraschend gut, der sich in erster Linie mit Kinderfilmen wie „Herr Bello“ und „Das Sams“ einen Namen gemacht hat. Zwar entsprechen die Geschwister mitunter erwartbaren Rollenklischees, doch „Ob ihr wollt oder nicht“ lebt von berührenden Momenten, wenn sich die kranke Laura etwa auf dem Friedhof genau auf die Stelle legt, an der ihr späteres Grab stehen soll. So ist der Film weniger ein Drama über Sterbehilfe, sondern viel mehr eine Hommage an den Ort, an dem man zum ersten Mal wahre Liebe erfährt – die eigene Familie.

David Siems

Als die krebskranke Laura ihrer Mutter Dorothea erklärt, sie habe ihre Chemotherapie abgebrochen, um zu Hause zu sterben, ist diese ganz und gar nicht erfreut. Weil sie Unterstützung will, ruft sie Lauras Schwestern an: Corinna, die Hausfrau und Mutter, sowie Susanne, die vermeintlich coole Geschäftsfrau. Fehlt noch Toni. Nach einem heimlichen Telefonat Lauras trifft am nächsten Morgen auch diese ein. Die Begeisterung Dorotheas hält sich gegenüber Toni in Grenzen, weil sie mit deren Lebenswandel nicht einverstanden ist. Laura will die ihr noch verbleibende Zeit genießen, zum Beispiel essen, was ihr schmeckt. Ihren Mann Peter will sie nicht mehr sehen. Um ihn nicht zu sehr leiden zu lassen?

Zum ersten Mal seit Jahren ist die gesamte Familie wieder zusammen. Doch das ändert nichts daran, dass unbequeme Wahrheiten ausgesprochen werden.

Toni versucht Peter in der Strandbar zu überreden, Laura trotz allem aufzusuchen – schließlich wiegt die Krankheit seiner Frau schwerer als alles andere. Aber er will nicht mehr, da Laura ihn ja „verlassen“ hat. Er ist angetrunken. Toni bringt ihn nach Hause.

In der Bar lernt sie Paul kennen. Sie verbringt mit ihm die Nacht in einem Strandkorb, wobei einiges passiert. Am nächsten Morgen erscheint sie mit ihm bei ihren Eltern. Dorothea dagegen traut ihrer Tochter eher zu, dass sie die Nacht mit Lauras Mann Peter verbracht hat.

Mittlerweise hat sich herausgestellt, dass Susanne von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wurde. Dorothea wirft Corinna vor, sie versage bei der Erziehung ihrer Kinder. Zu allem Überfluss stehen diese auch noch plötzlich vor der Tür. Ihr Ehemann setzte sie einfach in den Zug. Er habe keine Zeit für Kinderbetreuung.

Laura macht ihrer Schwester klar, dass Peter noch immer ihr Mann sei, als Toni ihr erzählt, sie habe eine Nacht mit ihm am Strand verbracht. Hat Toni in Wirklichkeit nicht dazu beigetragen, dass Laura und Peter wieder zusammenfanden?

In diesem Familienhimmel, der jedoch manchmal zur Familienhölle wird, kommen alle Situationen und Themen vor: Zickereien und Wortgefechte, Liebe und Versöhnung, Verliebtsein und damit verbundene Täuschungsmanöver, gemütliches Zusammensein und liebevolle Witze, Sterbehilfe und Eheschelte, Trennung und Abschied, Lebensrettung, Tod.

Die schauspielerische Leistung von Katharina Marie Schubert als Laura ist durchgehend einfühlsam. Als lebenslustige Schwester Toni überzeugt Julia-Maria Köhler. Auch Senta Berger (Dorothea), Christiane Paul (Susanne), Anna Böger (Corinna), Jan-Gregor Kremp (Peter) und Mark Waschke (Paul) machen ihre Sache gut. Jan Decleir als Vater Henning, der den Tod seiner Tochter lange nicht wahrhaben will, besticht durch seine ruhige Art.

Regisseur Ben Verbong hat die Dinge des täglichen Lebens im Griff. Zur reinen Erbauung ist der Film allerdings nicht gedacht. Aber er zeigt, welchen Halt Familie und Liebe dem Leben bieten können, auch wenn, wie hier, der Tod nicht weit ist.

Thomas Engel