Oben

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1.
„Oben“ ist der zehnte Pixar- Animationsfilm, angesichts seiner sentimentalen Geschichte eines alten, grantigen Mannes, der mit einem achtjährigen Pfadfinder auf ein Abenteuer geht, ein sicherer Kinoerfolg, aber kein wirklich guter Film. Die unvermeidliche Moral wird diesmal besonders penetrant vorgetragen, vor allem aber wirkt der Film erzählerisch unausgereift und weit weniger originell als man das von Pixar gewohnt ist.
2.
Wer Autos und Spielzeugfiguren zum Sprechen, Ratten zur Haute Cuisine und Roboter zu Musicalfans „erziehen“ kann, der wird auch einen Rentner samt Altersruhesitz zum Fliegen bringen können. Pixars geriatrisches Märchen lässt die ungelebten Träume eines „Grumpy Old Man“ auf eine fantasievolle, überraschende Art Wirklichkeit werden. Damit punktet „Oben“ letztlich mit den typischen Pixar-Tugenden, zu denen es auch gehört, dass sich die Animationen bei aller technischen Brillanz nie unangenehm in den Vordergrund drängen.

Webseite: www.oben-derfilm.de

Originaltitel: Up
Regie: Pete Docter, Bob Peterson
Buch: Bob Peterson, Pete Docter, Thomas McCarthy
Kamera: Patrick Lin
Schnitt: Kevin Nolting
Musik: Michael Giacchino
Animationsfilm
USA 2009, 89 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Disney
Kinostart: 17. September
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Seit 1996 mit „Toy Story“ der erste Pixar-Film in die Kinos kam, hat das Animationsstudio eine erstaunliche Karriere gemacht. Jeder der folgenden Filme war weltweit ein riesiger Erfolg, der Oscar für den besten Animationsfilm geht mit schöner Regelmäßigkeit an Pixar-Filme und „Oben“ durfte unlängst sogar das ehrwürdige Festival in Cannes eröffnen. Natürlich ist auch „Oben“ in technischer Hinsicht atemberaubend, sind die Animationen von Hunden, tausenden Luftballons und einem bunten Paradiesvogel makellos (auch wenn der vielgepriesene 3-D-Effekt sich einmal mehr als Luftnummer entpuppt), ist der Film voller witziger, origineller Momente. Dennoch hinterlässt „Oben“ ein schales Gefühl, fehlt der Geschichte die Originalität, die Pixar meist auszeichnet, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, ein Produkt von der Stange gesehen zu haben. Dabei beginnt die Geschichte grandios: In einer fünfminütigen Sequenz, einem Prolog, wird in kurzen, prägnanten Momenten die Geschichte von Carl Fredricksen nachgezeichnet. Seine Jugend, seine Begeisterung für den Entdecker Charles Muntz, der mit seinem Zeppelin nach Paradise Falls aufbricht, um einen Riesenvogel zu entdecken, seine Liebe zu Ellie, seiner vor kurzem verstorbenen Frau, mit der er keine Kinder hatte. Und da fängt das Problem an. Mit dem Pfadfinder Russell tritt ein Junge ins Leben von Carl, der so offensichtlich als sein Ersatz-Enkel prädestiniert ist, wie die ganze Geschichte frei von Originalität ist. Carl, der als Ballon-Verkäufer gearbeitet hat, bringt sein Haus mit Hilfe tausender Luftballons zum fliegen und macht sich auf den Weg endlich das Versprechen einzulösen, das er Ellie einst gegeben hatte: Paradise Falls zu finden, ein Abenteuer zu erleben.

Doch man wäre nicht in einem Pixar/ Disney-Film, wäre diese Geschichte nicht voller moralischer Werte. Carl erkennt, dass das wahre Abenteuer sein Leben mit Ellie war und große Ambitionen schnell zur Obsession werden können (was man leicht als ultra-konservativen Konformismus interpretieren könnte), der Pfadfinder lernt, dass die wahre Wildnis viel wilder ist, als in Büchern beschrieben und so weiter und so fort. Natürlich war Pixar noch nie subtil in der Betonung von Familienwerten ("Finding Nemo", "The Incredibles"), der nostalgischen Verklärung des Kleinstadtlebens ("Cars") oder der schlichten Betonung des Werts von Freundschaft und Gemeinschaft ("Toy Story", "Monster AG"). Meist jedoch waren diese moralischen Geschichten voller erzählerischer Originalität, atemberaubender Bilder und zahlloser witziger Einfälle, die es ermöglichten, die nicht eben subtile Moral zumindest zu verdrängen. Angesichts der arg konventionellen Geschichte von „Oben“, seiner wenig überzeugenden Mischung aus Realismus und Fantasy, die voller, im Kontext der Geschichte unglaubwürdiger Ereignisse ist, fällt das diesmal ausgesprochen schwer. So witzig Einfälle wie sprechende Hunde sind, so pointiert das Verhältnis zwischen dem zunächst grantigem alten Mann und dem hyperaktiven Jungen auch ist, die Schwächen des Films sind nicht zu übersehen. Da hilft auch der einmal mehr groß angekündigte 3-D Effekt nicht, der wie so oft weitestgehend wirkungslos verpufft. In vielen Szenen macht es kaum einen Unterschied, ob man die 3-D Brille aufhat oder nicht. Ob so die Zukunft des Kinos aussieht, bleibt weiter fraglich.

Michael Meyns

Pixars Trickkünstler kann man wahrlich nicht vorhalten, sie wären bei der Auswahl ihrer animierten Hauptdarsteller in der Vergangenheit nicht hinreichend kreativ gewesen. Spielzeugfiguren, Käfer, Ratten, Clownfische, sogar sprechende Autos und liebeskranke Müllroboter eroberten in früheren Filmen der Pixelartisten das Herz des Publikums. Für uns Menschen blieb zumeist nur eine wenig schmeichelhafte Nebenrolle übrig. Die Ausnahme von dieser Regel, Brad Birds „Die Unglaublichen“, bekommt nun jedoch Zuwachs. In „Oben“, dem die Ehre zuteil wurde, als erster Animationsfilm die Filmfestspiele von Cannes eröffnen zu dürfen, schicken die beiden Regisseure Pete Docter und Bob Petersen einen 78jährigen bisweilen äußerst renitenten Witwer auf eine mehr als abenteuerliche Reise.

Mag deren Ziel bereits exotisch anmuten – immerhin verschlägt es unseren rüstigen Rentner in den tiefsten Urwald Südamerikas –, so richtig außergewöhnlich erscheint erst die Wahl des Transportmittels. Statt mit dem Flugzeug oder dem Schiff verreist der pensionierte Ballonverkäufer Carl Fredricksen (deutsche Synchronstimme: Karlheinz Böhm) mit und in den eigenen vier Wänden. Eine Vielzahl bunter Heliumballons lässt das kleine Häuschen wie von Zauberhand davon schweben. Nach dem Tod seiner geliebten Ellie, mit der er praktisch sein gesamtes Leben teilte, will es Carl noch einmal wissen und sich einen lange gehegten Traum erfüllen. Wie sein großes Vorbild aus Kindertagen, der legendäre Entdecker Charles Muntz, möchte auch er den geheimnisvollen Dschungel Südamerikas erkunden. Dass er bei diesem Vorhaben von einem blinden Passagier begleitet wird, davon ahnt Carl anfangs nichts. Russell, ein Junge aus der Nachbarschaft, ist leidenschaftlicher Pfadfinder und zufälligerweise auf der Suche nach einem Ersatz-Großvater.

Die Künstlichkeit und Distanz, die üblicherweise einen Animationsfilm beschreiben, überbrücken Procter und Petersen schon während der Einleitung. Ein knapp zehnminütiger Prolog, der gänzlich ohne Dialoge auskommt und Carls bisheriges Leben als eine Aneinanderreihung herzzerreißender Stummfilmepisoden zusammenfasst, zählt zweifellos zum Besten, was jemals die Pixar-Werkstatt verlassen hat. Untermalt von Michael Giacchinos gefühlvollem Score erhalten wir einen intuitiven Einblick in die Gefühlswelt eines inzwischen einsamen, alten Mannes. Ellie und er, das verdeutlicht der kurze Rückblick, waren glücklich, wenngleich manche ihrer Wünsche und Träume bis zuletzt unerfüllt blieben. Selbst die ungewollte Kinderlosigkeit des Paares und Ellies Tod werden von Procter und Petersen keinesfalls ausgeblendet. Erwachsen und aufrichtig nähert sich „Oben“ seiner für einen Animationsfilm ungewöhnlichen Hauptfigur.

Mit Carls Aufbruch ins Unbekannte nimmt auch die Handlung merklich an Fahrt auf. Parallel dazu wird der anfangs eher subtile Humor zunehmend kindgerechter und verspielter, wobei der Film bis zur letzten Minute über alle Altersklassen funktioniert. Dug (gesprochen von Komiker Dirk Bach), ein etwas tollpatschiger aber ungemein liebenswerter Vierbeiner, den unsere Abenteurer im südamerikanischen Dschungel „adoptieren“, hat dabei das Zeug zum echten Publikumsliebling. Zusammen mit seinen weniger friedfertigen Artgenossen, die wie er dank eines Halsbands mit den menschlichen Eindringlingen kommunizieren können, liefert er überdies eine smarte Persiflage auf die pathologische Hundefixiertheit anderer Disney-Produktionen.

Verglichen mit „Wall-e“ und „Ratatouille“ erscheint Carls sonderbare Ballonfahrt, als hätten Procter und Petersen sie vor Beginn unbedingt von allem (unnötigem) Ballast befreien wollen. Die Geschichte ist deutlich einfacher gehalten, fast schon schnörkellos. Und dennoch spiegeln sich in ihr zahlreiche Einflüsse und Motive anderer Erzählungen, die jedoch nie als bloße popkulturelle Zitate ausgestellt werden. Die Bezüge zu Hayao Miyazakis „Das wandelnde Schloss“ oder dem Jungs-Kino eines Steven Spielberg sind vielmehr Teil eines Film, der von der Hingabe der Entwickler für ihre Figuren in luftige Höhen getragen wird.

Marcus Wessel

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