Original Copy

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Viel wird in den letzten Jahren vom Verfall der Kinokulter gesprochen, vom Verlust des gewissen Etwas, das durch die Digitalisierung, die immer weiter voranschreitende Kommerzialisierung des Kinobetriebs verloren geht. In diese durchaus auch nostalgischen Gedankengänge passt „Original Copy“, eine Dokumentation des Vater-Sohn-Gespanns  Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen, die in Indien auf filmische Entdeckungsreise gehen.

Webseite: originalcopy.wfilm.de

Dokumentation
Deutschland 2016
Regie, Buch: Florian Heinzen-Ziob & Georg Heinzen
Länge: 95 Minuten
Verleih: W-Film
Kinostart: 9. März 2017

FILMKRITIK:

Zwar gilt China als zukünftige Kinomacht, die in Kürze die USA als wichtigster Markt abgelöst haben wird, doch während in China Kino erst seit einigen Jahren boomt, gehört etwas weiter südlich auf dem asiatischen Kontinent das Kino schon seit langem zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten. In Indien werden nicht nur die meisten Filme produziert, mit mehr als zwei Milliarden verkauften Karten ist Indien auch weltweit die Nummer eins bei den Besucherzahlen.
 
Doch die Zahlen trügen, zumindest wenn es um die kleineren Kinos der Megalopolis Mumbai geht, zum Beispiel das Alfred Talkies, das man als altehrwürdig bezeichnen könnte, wobei die Betonung vor allem auf dem alt und weniger auf dem würdig liegt. Einst lag dieses Kino im Herz des Vergnügungsviertels der Stadt und warf saftige Gewinne ab, heute verfällt es langsam und ist kaum noch rentabel. Gegen die modernen Multiplexe, die auch in Indiens Metropolen langsam aber sicher die traditionellen, kleinen Kinos verdrängen, können die Betreiber des Alfred Talkies nicht ankommen.
 
Hier geht es noch gemütlich zu, werden jeden Morgen mit Weihrauch die bösen Geister vertrieben und für ein gutes Geschäft gebetet, hier verbringen Zuschauer Stunden auf knarrenden, nicht wirklich bequem aussehenden Holzsitzen, während der greise Filmvorführer tatsächlich noch echtes Zelluloid in den Vorführapparat einlegt, um oft extrem verwaschene, zerkratzte Filme zu zeigen.
 
In den verwinkelten Räumen und Werkstätten des Alfred Talkies haben das Vater-Sohn-Gespann Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen gefilmt und aus dem Material ihre Dokumentation „Original Copy“ montiert. Eine Hommage an das Kino ist sie geworden, eine Ode an eine Welt, die langsam verschwindet, selbst in Indien. In Deutschland findet man Orte wie diesen praktisch gar nicht mehr, kleine Familienbetriebe, in denen ein Kinomaler riesige Plakatwände mit reißerischen Motiven füllt, die allein mit dem Versprechen auf Drama, Action und ein bisschen Erotik das Publikum in ein Lichtspielhaus lockt.
 
In Deutschland ist die Entwicklung schon fort geschritten, in Indien findet man noch einzelne Überbleibsel aus der Vergangenheit, die zwar vom Kinosaal als Ort der Träume erzählen, aber gleichzeitig auch wie aus der Zeit gefallen wirken. Und bald wird auch das Alfred Talkies dichtmachen müssen, bald werden nicht mehr genug Zuschauer die niedrigen Eintrittspreise zahlen wollen, sich für ein paar Rupien Cola und andere Snacks kaufen, um einen Film zu sehen.
 
Zum Glück geben sich die Regisseur dieser immanenten Melancholie, der Nostalgie ihres Themas nicht hin. Zurückhaltend, aber doch mit unverkennbarer Sympathie zeigen sie das Leben im Alfred Talkies, beobachten Mitarbeiter und Zuschauer, zeigen die einerseits wunderbare Atmosphäre, die andererseits von einem unverkennbaren Verfall kontrastiert wird. So schön Kinos wie das traditionelle Alfred Talkies auch sind: Die Zukunft sieht anders aus, auch in Indien.
 
Michael Meyns