Tahiti, das klingt nach Exotik, nach weißen Stränden, nach Paradies und Paul Gauguin. All diese Elemente finden sich in „Pacifiction“ dem neuen Film des katalanischen Regisseurs Albert Serra, der letztes Jahr im Wettbewerb von Cannes für Furore sorgte. Eine über zweieinhalb Stunden lange, meditative, surreale Reise, die mäandernd, hier einen Plot behauptet, da modernen Kolonialismus seziert und zu den faszinierendsten Kinoerlebnissen des Jahres zählt.
Frankreich/ Deutschland 2022
Regie & Buch: Albert Serra
Darsteller: Benoît Magimel, Pahoa Mahagafanau, Marc Susini, Matahi Pambrun, Alexandre Melo, Sergi Lopez
Länge: 165 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 2. Februar 2023
FILMKRITIK:
De Roller (Benoît Magimel) dient als Hochkommissar der französischen Republik auf Tahiti, jener mystischen Insel in Französisch-Polynesien, auf der einst der Maler Paul Gauguin lebte und arbeitete, auf der der Marlon Brando-Film „Meuterei auf der Bounty“ gedreht wurde, die durch in der Nähe durchgeführte französische Atomtests in Mitleidenschaft gezogen wurde. Tropisch, paradiesisch langsam läuft das Leben auf dem Eiland ab und so verbringt De Roller auch seine Tage und Nächte.
Stets makellos in hellem Anzug gekleidet, die Sonnenbrille selten absetzend, bewegt er sich durch Treffen mit Einheimischen, Vertretern der französischen Marine, aber auch im Nachtclub mit dem sinnigen Namen „Paradise Night.“ Hier tanzen leichtbekleidete Männer und Frauen zu einheimischen und internationalen Beats, bandeln an, trinken Cocktails und erzählen sich Geschichten.
Viele Worte werden in „Pacifiction“ gewechselt, deutlich mehr als in früheren Filmen Albert Serras, der sich mit Filmen wie „Die Ehre der Kavallerie“, „Die Geschichte meines Todes“ oder „Der Tod von Louis XIV“ einen Namen als Regisseur von mäandernden, einlullenden, surreal angehauchten Filmen gemacht hat, die dem zeitgenössischen Kunstbetrieb oft näher stehen als dem modernen Arthouse-Kino. Auf der documenta war Serra ebenso aktiv wie an der Berliner Volksbühne, mit „Pacifiction“ hat er nun einen gleichermaßen zugänglichen Film gedreht, der aber dennoch durch und durch ein typischer Serra-Film ist.
Ohne Probleme ist es zwar möglich „Pacifiction“ auf einen Plot zu reduzieren, der sich relativ stringent, ja geradezu klassisch anhört, der der besonderen Stimmung des Films jedoch in keiner Weise gerecht wird. Immer wieder baut Serra Momente ein, die konkret wirken, sich dann aber als Schimären erweisen: Lose Hinweise scheinen auf eine Wiederaufnahme der Atomtests hinzudeuten, andere weisen auf die Entwicklung eines luxuriösen Kasinos hin, doch was wirklich an den Gerüchten dran ist bleibt unklar. In praktisch jedem Moment des Films bleibt die Kamera bei De Roller, bleibt bei Benoît Magimel, in dem Albert Serra die ideale Projektionsfläche gefunden hat: Als Schauspieler, der gleichermaßen oberflächlich und profund wirkt hat Serra Magimel beschrieben, der längst nicht mehr der glatte, virile Jüngling ist, als der er in Michael Hanekes „Die Klavierspielerin“ bekannt wurde. Etwas aufgedunsen wirkt er, etwas selbstverliebt, insofern die ideale Verkörperung für einen aus der Zeit gefallen wirkenden Vertreter des französischen Kolonialismus.
Unzweideutig mag man in „Pacifiction“ eine Kritik an Kolonialismus, an Imperialismus sehen, die jedoch – natürlich – nicht auf den Punkt gebracht wird. Statt dessen deutet Serra die Absurdität einer Figur wie De Roller an, lässt ihn und seine Ambitionen ins Leere laufen, lässt ihn ziellos durch die Nacht streifen oder sich auf einem Jetski den fließenden, endlosen Bewegungen der Wellen hingeben. Und so wie der Film begann, endet er: Einfach so, ohne konkret zu werden, ohne seine Absichten auf den Punkt zu bringen. In höchstem Maße stilisiert ist die Welt von „Pacifiction“, eben eine Fiktion im Pazifik, wirkt dabei aber auch wie eine hyperreale Darstellung des Lebens auf einem paradiesischen Eiland. Eine ganz eigene Erfahrung ist Albert Serras Film, ein Erlebnis, das unbedingt im Kino gemacht werden sollte.
Michael Meyns