Parada

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2010 kam es in Belgrad während der Pride Parade, einem Demonstrationsmarsch von Homosexuellen, zu schweren Ausschreitungen von Rechtsradikalen. 120 Menschen wurden verletzt. Aus Sicherheitsgründen sagte die serbische Regierung im Jahr darauf die geplante Parade ab. Homophobie ist auf dem Balkan noch immer tief in der Gesellschaft verankert. Dieses ernste Thema nimmt Srdjan Dragojeviæ in seiner Komödie aufs Korn und landete damit einen Überraschungserfolg: Über 600.0000 Zuschauer wollten den Film auf dem Balkan sehen. Bei der Berlinale 2012 gewann er damit den Pubikumspreis.

Webseite: www.parada-film.de

Serbien/Kroatien/Mazedonien/Slowenien 2012
Originaltitel: Parada
Regie und Buch: Srdjan Dragojeviæ
Darsteller: Nikola Kojo, Hristina Popovi, Goran Jevtiæ, Miloš Samolov, Goran Navojec, Dejan Aæimoviæ, Toni Mihajlovski
Länge: 115 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 13. September 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Homophobie auf dem Balkan ist das Thema von Srdjan Dragojevic Film „Parada“. Ein bedauerlicherweise allzu aktuelles Thema, das der serbische Regisseur in einer Mischung aus überdrehter Komödie und emotionalem Drama zu einem Film formt, der auf dem Balkan ein bemerkenswerter Erfolg und auch die Zuschauer der Berlinale begeisterte.

Hass ist eine auf dem Balkan weit verbreitete Emotion. Die Serben hassen die Kroaten und Bosnier, die Bosnier die Kroaten und Serben, die Kroaten die Serben und Bosnier. Vereint sind sie allein im Hass auf Homosexuelle. Wie sehr diese Homophobie durch bizarre Vorurteile geformt wurde, auch das zeigt Srdjan Dragojevic in „Parada“, benannt nach der ersten Gay Pride Parade, die 2010 durch die Straßen von Belgrad zog. Mitorganisiert wird die Parade im Film von Mirko, einem Hochzeitsplaner und Brautausstatter. Ja, das ist ein Klischee und nicht das einzige in diesem Film. Klischees und Stereotype einzusetzen, sich über sie zu amüsieren, ihnen dadurch einen Teil ihrer Schärfe zu nehmen sind erzählerisches Prinzip von Dragojevics Film.

Dementsprechend ist die zweite Hauptfigur Micky, nicht nur ein mit vielen Tattoowierungen geschmückter Macho, der in den diversen Balkan-Kriegen jüngerer Vergangenheit gekämpft hat, sondern auch noch ehemaliger Krimineller, Judo-Trainer und Besitzer eines kleinen Hundes. Micky ist mit Pearl zusammen, die unbedingt bald heiraten will. Dass sie mit der Hochzeit ausgerechnet Mirko beauftragt hat passt dem zutiefst homophoben Micky gar nicht. Noch viel weniger begeistert ist er allerdings, als sich Micky mit Mirko, seinem Partner Radmilo und anderen Mitgliedern der homosexuellen Szene Belgrads anfreundet. Die sind durch ständige Angriffe von Rechtsradikalen schwer verunsichert, zumal der Staat sich wenig für ihre Sicherheit interessiert. So kommen sie auf die Idee, Mirko und seine Kumpane mit der Sicherheit der Demonstration zu beauftragen.

Um Pearl zu gefallen willigt Micky ein und sieht sich auf einmal von allen Freunden verlassen. Die einzige Lösung: Eine Reise über den Balkan, um von alten Kriegskameraden Gefallen einzufordern. So wächst langsam eine multiethnische Gruppe aus Serben, Bosniern, Muslimen und Kroaten zusammen, die ausgerechnet für die Sicherheit der Homosexuellen Parade sorgen sollen.

Ganz dem typisch überdrehten Balkan-Kino folgend, erzählt Dragojevic diese Geschichte mit viel Klamauk und Situationskomik. Wie ernst der reale Hintergrund des Films ist wird dabei allerdings nie vergessen und sorgt für die Balance zwischen Komödie und Drama, die „Parada“ erst wirklich bemerkenswert macht. Gerade Micky wird immer wieder von Momenten der Verzweiflung geplagt, verliert fast den Mut, um schließlich doch an die Notwendigkeit des Widerstands zu glauben, egal welche Konsequenzen dies haben mag.
Indem sich Dragojevic über die Marotten und Vorurteile aller Beteiligten lustig macht, schafft er es Klischees gleichzeitig zu benutzen und zu unterlaufen. Dass die Völkerverständigung auf dem Balkan in Wirklichkeit nicht ganz so einfach abläuft, wie in der Phantasie dieses Films liegt auf der Hand. Zwar fand die Gay Pride Parade 2010 statt, doch wie in den Schlusstiteln zu lesen ist, mussten die wenigen hundert Demonstranten von 5000 Polizisten beschützt werden. Und auch an den tagtäglichen Angriffen auf Homosexuelle hat sich nichts geändert. Doch dass „Parada“ auf dem Balkan ein solcher Erfolg war, macht Hoffnung und lässt Srdjan Dragojevics Film umso wichtiger erscheinen.

Michael Meyns

Limun (Nikola Kojo) hasst Schwule. Schließlich ist er ein serbischer Vorzeige-Macho: Kriegsheld, Ex-Krimineller, Inhaber einer Sicherheitsfirma. Wenn allerdings seine Verlobte Pearl (Hristina Popovi) ruft, wird Limun lammfromm. Und Pearl wünscht sich eine romantische Hochzeit mit allem Pomp, wie sie nur Hochzeitsplaner Mirko (Goran Jevtiæ) herbeizaubern kann. Der ist allerdings schwul. Nicht nur das. Pearl verlangt auch, dass Limun mit seinen Sicherheitsleuten die Gay-Parade schützt, die Mirko und sein Lebensgefährte Radmilo (Miloš Samolov) planen. Wenigstens ist der Tierarzt und hat kurz zuvor Limuns Hund das Leben gerettet. Trotzdem bringen diese Homosexuellen Limuns Alltag komplett durcheinander. Denn nachdem er sich endlich widerstrebend dem Willen Pearls gebeugt hat, desertieren seine Angestellten, weil sie bei der Parade nicht zum Gespött der Leute werden wollen. Also geht Limun auf eine Odyssee quer über den Balkan, um ausgerechnet unter seinen ehemaligen Kriegsgegnern Helfer zu finden. Radmilo begleitet ihn und sorgt unter den Extrem-Machos für erhebliche Irritationen.

Dass Dragojeviæ es mit seiner Komödie durchaus erst meint, zeigt sich daran, das er sich ehrlich bemüht, die allgegenwärtige Homophobie auch zu zeigen – und sei es nur, indem er mit dem Originalton eines Bischofs der Orthodoxen Kirche arbeitet, die sich immer wieder als besonders schwulenfeindlich hervortut. Außerdem lässt er seinen Film nachdenklich, fast schon tragisch enden. „Parada“ hält der serbischen Gesellschaft also durchaus einen Spiegel vor. Gleichzeitig wirkt er wie die filmische Verwirklichung einer Utopie. Denn dass sich hier Serben, Kroaten, Bosniaken und Kosovaren, die ehemaligen Todfeinde also, zusammenfinden, und das auch noch, um Homosexuelle in ihrem Kampf um Gleichberechtigung zu unterstützen – das ist auf dem Balkan wohl nur im Reich der Fantasie möglich.

Gerade diese politischen Dimensionen machen den Film auch für Westeuropäer interessant, liefert er doch ein interessantes Stimmungsbild der Balkan-Gesellschaften. „Wenn die Kommunisten wiederkommen, sind wir wenigsten wieder alle gleich“, seufzt eine Aktivistin und deutet in diesem einen Satz die Probleme an, die der Untergang des Sozialismus vor allem für die Balkanländer bedeutete. Lange unterdrückte Ressentiments der verschiedenen Volksgruppen brachen sich in einem grausamen Krieg Bahn, dessen Folgen bis heute spürbar sind. Nationalismus und Misstrauen machen auch den Minderheiten innerhalb dieser Gesellschaften nach wie vor das Leben schwer.

Mit entsprechend deftigen Überzeichnungen und Typisierungen arbeitet Dragojeviæ in „Parada“. Feine Ironie ist seine Sache nicht, eher setzt er auf satte und auch platte Gags, die zum Teil nicht mehr taufrisch wirken. Dass der abgespreizte kleine Finger hier noch immer als Merkmal für homosexuelle Männer herhalten muss, ist nur ein Beispiel dafür. Auch sonst stellt der Film schwule Stereotypen eher aus, als das er sie hinterfragt. Immerhin aber findet Dragojeviæ sanftere Töne, wenn er empathisch das Zusammenleben eines schwulen Paares zeigt. Dass sein Film im Kino seiner Heimat ein so großer Erfolg war, kann ja auch als Zeichen der Hoffnung auf Besserung gewertet werden.

Oliver Kaever

Die Mehrheit der Serben tut sich mit Homosexuellen offenbar schwer. Um das Problem auch über den Balkan hinaus öffentlich zu machen, hat Regisseur Srdjan Dragojevic zu einer Tragikomödie gegriffen, die sowohl in ihrer komischen als auch in ihrer problematisch-tragischen Seite gelungen ist und zum Nachdenken bringen kann.

Es soll eine Love-Parade veranstaltet werden. Mirko, der erfolglose Schauspieler, und Radmilo, der Tierarzt, gehören zu den schwulen Förderern dieser Veranstaltung. Mirko arbeitet nebenher als Hochzeitsplaner, Radmilo hat soeben den von Kugeln getroffenen Hund von Limun gerettet.

Limun ist ein Kriegsveteran, der einiges auf dem Kerbholz hat. Pearl, die sein Luxusweibchen sein möchte, ist noch seine Verlobte. Ausgerechnet Mirko soll die Hochzeit einrichten – für den stämmigen, jederzeit gewaltbereiten und für die Homosexuellen nichts übrig habenden Judo-Club-Inhaber Limun ein Ding der Unmöglichkeit.

Mehr als einmal verlässt Pearl Limun. Für ihre Rückkehr stellt sie die Bedingung, dass Mirko die Hochzeit vorbereiten darf, außerdem soll Limun mit seinen Leuten die Love-Parade-Teilnehmer vor den Anhängern der schwulenfeindlichen Rechten schützen.

Da Limuns Leute das nicht mitmachen wollen, muss Limun zusammen mit Radmilo übers Land fahren, um frühere Kriegsgegner, die längst zu Freunden geworden sind, zu mobilisieren, unter ihnen den Kroaten Roko, den Bosnier Halil sowie den Kosovo-Albaner Azem.

Die Love-Parade steigt. Eine Straßenschlacht scheint dabei unvermeidlich zu sein. Für Mirko geht sie sehr sehr schlecht aus.

Im fetzigen Stil eines Kusturica hat Dragojevic hier eine Komödie hingepfeffert, die es in sich hat. Sie ist lustig und derb zugleich, reichlich grob, dazu überspitzt, aber originell und temporeich, keine Sekunde langweilig.

Und dabei bleibt es keineswegs. Denn zwei wichtige ethische Gesichtspunkte und Forderungen sind mit hineinverwoben. Erstens wird, geschickt serviert, für unbedingte Toleranz
zugunsten der Homosexuellen geworben, zweitens die längst und dringend nötige Verständigung zwischen den Balkanvölkern angemahnt, die sich nach zehn Jahren tatsächlich langsam anbahnt (allerdings nicht bei allen).

Sehr lebhafte, ganz schön originelle und bedenkenswerte serbische Tragikomödie über zwei akute Probleme der Balkanvölker.

Thomas Engel