Paradies: Liebe

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Schon von der ersten Szene an weiß man: Jetzt kommt ein echter Seidl. Situationen, die den hässlichen Stumpfsinn der Suche nach Glück offenlegen. Mit „Paradies: Liebe“ beginnt Seidl eine Trilogie über die Themen Glaube, Liebe, Hoffnung. In diesem ersten Teil begleitet er eine Wienerin nach Kenia, wo sie bei den Beach-Boys sucht, was ihrem traurigen Leben fehlt. Der Film feierte seine Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes.

Webseite: www.neuevisionen.de

Österreich, Deutschland, Frankreich 2012
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Urlich Seidl, Veronika Franz
Kamera: Wolfgang Thaler, Ed Lachmann
Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugta, Gabriel Mwarua
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 3. Januar 2013

PRESSESTIMMEN:

Ein Film wie ein schonungsloses Gemälde.
ARD Tagesthemen

Ein schönes, böses Meisterwerk.
Süddeutsche Zeitung

FILMKRITIK:

Teresa (Margarethe Tiesel) ist um die 50, alleinstehend und Mutter einer übergewichtigen Tochter im Teenageralter. Unter einem rigiden Ordnungsregiment und ständiger Betriebsamkeit versteckt sie Leere und Einsamkeit. Ein Urlaub in Kenia soll mit Erotik und Romantik die eingefahrenen Bahnen aufbrechen. In einem Strand-Ressort warten gezähmte Idylle, Sauberkeit und Ordnung sowie, fein säuberlich durch ein Seil vom Grundstück abgetrennt, dunkelhäutige Beach-Boys auf der Suche nach reichen europäischen Sugarmamas. Teresa ziert sich anfangs, legt sich dann aber wie alle anderen Urlauberinnen mit Munga einen afrikanischen Lover zu. Natürlich dauert es nicht lange, bis Munga Teresas Geld verlangt, um damit seine angebliche Schwester, sonstige Verwandte und die örtliche Schule zu versorgen. Enttäuscht wendet sich Teresa einem anderen zu, bis das Spiel von vorn beginnt.

„Ich möchte, dass einer in meine Seele sieht und nicht auf meinen dicken Hintern“, sagt Teresa in einer Szene. Diese rührende Naivität und ihre Suche nach ehrlicher Anerkennung zeichnen sie aus. Dass sie damit in Kenia völlig fehl am Platze ist, zeigt das Verhalten der anderen Urlauberinnen, die ziemlich unverblümt nur Sex wollen. Seidl ist nach wie vor ein Meister darin, mit seinen brutalen Bildern die dicke Schicht von Zivilisation wegzureißen und die darunter liegende Verknöcherung und Verrohung zu zeigen. Besonders erfolgreich ist er damit in weniger expliziten Tableaus: Wenn Teresa etwa ihre Wohnung in einem Miethaus in Wien betritt, das gefilmt ist wie ein monströses Gefängnis; oder wenn sie mit ihrer Schwester und Tochter schweigsam Kuchen in sich hineinschaufelt. Eine verheerende innere Leere kennzeichnet auch das afrikanische Urlaubsparadies, eine Hölle aus Pool, Bar und infantilen Gruppenspielchen mit Animator. „Paradies: Liebe“ zeigt hinter diesen harten Bildern eine traurige Geschichte: Wie Teresa auch noch den letzten Rest Hoffnung aufgibt, in dieser Welt Liebe und Verständnis zu finden und ihrerseits zur kalt kalkulierenden Sex-Urlauberin wird.

Allerdings droht der kalkulierte Tabubruch, der immer Teil ist von Seidls Filmen, hier stellenweise zum Selbstzweck zu werden. Zu deutlich gibt das Setting die Fluchtlinien der Geschichte vor – dass es in kenianischen Urlaubsressorts genauso zugeht, glaubt man auf der Stelle. Lediglich so explizit beschrieben wurde es noch nicht. Insofern bebildert Seidl hier oft das Offensichtliche und droht sich zu wiederholen. Vor allem eine längere Sequenz, in der mehrere Frauen Teresa einen Beach-Boy zum Geburtstag „schenken“ und der anschließende Versuch einer Orgie erinnert frappierend an ein ähnliche Szene aus „Hundstage“. In seiner Länge und Drastik verstört die Sequenz zwar, aber der Stumpfsinn, den sie zeigen will, fällt auch auf sie selbst zurück. Ein Voyeurist, wie ihm immer wieder vorgeworfen wird, ist Seidl deshalb noch lange nicht. Er weidet sich auch nicht am Elend anderer. Seidl bleibt ein kompromissloser Chronist der Vergletscherung der Gefühle, die auch seinen Landsmann Michael Haneke umtreibt.

Oliver Kaever

Ulrich Seidl macht weder thematisch noch inszenatorisch Umwege, er ist direkt. Und zwar sehr direkt. Bisher war das in allen seinen Filmen so.

Er arbeitet zwar durchaus fiktiv, aber doch auf der Basis von dokumentarischer Wirklichkeit und Wahrheit. Das macht seine Filme so unmittelbar. Man kommt nicht so ohne weiteres daran vorbei.

Dieses Mal geht es um alleinstehende, füllige, aus der Form geratene Damen um die 50, die sich nach Liebe sehnen. Das in Europa zu bekommen ist nicht selbstverständlich. Also ab nach Afrika, nach Kenia genauer gesagt. Dort warten die Beachboys auf die Damen, „Sugarmamas“ genannt.

Teresa liefert ihre Tochter bei einer Tante ab und reist nach Kenia. Inge und ein paar andere sind schon da. Sie genießen den Sex der afrikanischen Burschen. Die ersten verbalen Auskünfte, die sich gewaschen haben, erhält Teresa von Inge. Nun muss sie es selbst probieren.

Beim ersten Mal klappt es nicht. Teresa ist viel zu schamhaft, um sich vor einem völlig fremden Mann auszuziehen und sich betatschen zu lassen. Sie läuft davon.

Dann kommt Munga. Dem verfällt sie sogar. Ein paar Tage „Leidenschaft“. Dann geht es los. Er braucht Geld: für das Kind der Schwester, für die Schule, für alles und jedes. Lust auf Teresa hat er nicht mehr. Er haut ab. Teresa sucht ihn, will ihn zurück. Sie ist sogar bereit, noch mehr Geld zu zahlen. Es nützt nichts.

Noch einmal versucht sie es mit einem Beachboy. Doch nun ist er es, der nicht kann – oder nicht will. Völlig folgerichtig geht die Sache aus.

Wie gesagt: Wenn es um reinen Sex geht, nehmen die Damen weder ein Blatt vor den Mund noch scheuen sie sich vor sehr direkten pornographischen Spielchen. Ist das so? Bei Seidl auf jeden Fall – und in der Realität wohl auch, zumindest bis zu einem gewissen Grade.

Es ist ein grausamer, abschreckender, schamloser, aber wohl auch ein wirklichkeitsnaher, notwendiger, interessanter, lehrreich-nützlicher Film.

Dass Margarethe Tiesel als Teresa derart ehrlich und direkt auftritt, ist menschlich bemerkenswert.

Ein einen bestimmten Teilaspekt behandelndes Sex-Lehrstück.

Thomas Engel