Paranza – Der Clan der Kinder

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Auf dem schmalen Grat zwischen Verklärung und kritischer Einordnung bewegt sich Claudio Giovanessi mit seinem Mafia-Drama „La paranza dei bambini“, das auf einem Roman von Mafia-Experte Roberto Saviano basiert. Wie Jugendliche in Neapel fast zwangsläufig, ja, schicksalshaft auf die schiefe Bahn geraten erzählt Giovanessi auf gleichzeitig mitreißende und tragische Weise.

Webseite: www.prokino.de

OT: LA PARANZA DEI BAMBINI
Italien 2019
Regie: Claudio Giovanessi
Buch: Claudio Giovanessi, Roberto Saviano, Maurizio Braucci, nach dem Roman „Der Clan der Kinder“ von Roberto Saviano
Darsteller: Francesco Di Napoli, Viviana Aprea, Mattia Piaon Del Balzo, Ciro Vecchione, Ciro Pellechia, Ar Tem
Länge: 105 Minuten
Verleih: Prokino, Vertrieb: Studiocanal
Kinostart: 22. August 2019

FILMKRITIK:

„Warum spielst du nicht Fußball? Die verdienen nicht schlecht.“ fragt der Mafia-Pate, als er vom jungen, aufstrebenden Gangster um Waffen gebeten wird. „Ich war nie gut im Fußball“ antwortet der 15jährige Nicola und damit ist alles gesagt. Wer im Viertel Sanità in Neapel aufwächst, der wächst mit dem Bewusstsein auf, dass das Leben von der Mafia kontrolliert wird: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Schießereien. In dieser Welt ist Nicola groß geworden, an dieser Welt will er teilhaben, koste es was es wolle.
 
Nicola und seine Freunde haben Zeit ihres Lebens an der Seite der Mafia gelebt, nun wollen sie nicht mehr nur zuschauen, sondern selbst einen Teil des Kuchens abhaben. Zunächst verdingen sie sich als kleinen Drogenkuriere, doch bald wollen sie mehr. Zusammen mit Agostino (Pasquale Marotta), dem Sohn eines ermordeten Paten, will die Gang der Kinder die Macht im Viertel übernehmen und dafür ist bald jedes Mittel recht. Man besorgt sich Waffen, die erst nur Drohkulisse sind, aber bald auch eingesetzt werden, um Gegner aus dem Weg zu schaffen. Den oberen Bossen ist das egal, sie versorgen auch die Jugendlichen mit immer größeren Mengen an Drogen, Hauptsache das Geschäft läuft.
 
Bald rollt der Rubel, können sich Nicola und seine Freunde endlich die Markenklamotten leisten, nach denen sie sich ihr ganzes Leben verzehrt haben, können ihren Mamas teure Möbelstücke kaufen und kommen auch endlich in den teuersten Club der Stadt. Dort fließt der Champagner in Strömen, wird gekokst und gefeiert. „Die Welt gehört dir“, scheint dieser Moment zu sagen, doch stets ist klar, dass er nicht andauern wird.
 
Der dritte Film von Giovanessi ist dies, auch an der Fernsehserie „Gomorrah“ hat er mitgearbeitet, dort lernte er Roberto Saviano kennen, der mit seinen Büchern über die Strukturen der Mafia berühmt geworden und sich zu einem Leben unter Polizeischutz verdammt hat. Vor einem Jahr erschien auch in Deutschland „Der Clan der Kinder“, sein erster Roman, der lose auf Ereignissen beruht, die sich erst vor ein paar Jahren in Neapel zutrugen.
 
Nah am dokumentarischen ist nun auch die Verfilmung, die den Weg von Nicola vom Teenager zum gejagten Gangster schildert. Gedreht mit Laiendarstellern aus Neapel, in chronologischer Reihenfolge, den Input der jungen Neapolitaner in die Geschichte einfließen lassend. Das Ergebnis ist ein enorm authentischer Film, der seiner fließenden Kamera einen Sog erzeugt, dem man sich schwer entziehen kann. Auch und gerade, weil man diese Geschichte aus unzähligen Gangster-Filmen kennt, Filme, die fraglos auch die echten Jungs gesehen haben, auf denen Savianos Roman basiert und die nun auf der Leinwand zu sehen sind. Dem süßen Leben jagen sie nach, dass unweigerlich böse enden muss, was jeder wissen muss und doch niemanden abhält, davon zu träumen.
 
Unmoralisch und verklärend könnte man es nennen, wie Giovanessi diese Welt schildert, sich bewusst nicht mit einfachen Methoden von ihr distanziert. Stattdessen betont er die verführerische Kraft des schnellen, aber nur scheinbar einfachen Geldes, denn unter der glatten Oberfläche ist doch immer zu ahnen, dass dieses Leben kein gutes Ende nehmen kann.
 
Michael Meyns