Prater

Zum Vergrößern klicken

Der Wiener Prater ist kein x-beliebiger Rummel, sondern eine weltweit bekannte Attraktion und ein Mythos, den Ulrike Ottinger in ihrer Dokumentation nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Der Prater ist aus ihrer Sicht stets ein Ort der Illusionen gewesen, eine „Wunschmaschine“ – und damit dem Kino verwandt, das früh zu den Attraktionen des Vergnügungsparks gehörte. Ottinger nimmt den Zuschauer mit auf eine kulturanthropologische Reise, die bei allem Detailreichtum und Bilderwirbel vielleicht eine Spur zu ernst geraten ist.

Webseite: www.prater-derfilm.com

Deutschland, Österreich 2007
Buch und Regie: Ulrike Ottinger
104 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: Dezember 2007

PRESSESTIMMEN:

Pressestimmen auf film-zeit.de hier...


FILMKRITIK:

Der Mann, der um 1900 eine Reihe von Vergnügungsbetrieben gründete und dem Prater prägte, war selbst ein Faszinosum: Er hatte keinen Unterleib und statt Armen nur Stummel an den Schultern. Dieser Art waren die Attraktionen, die damals dem Publikum geboten wurden. Menschen mit Abnormitäten, Liliputaner, Riesen, Frauen ohne Beine. Dazu Menschen aus fernen afrikanischen Ländern, die zum Beispiel im „Ashanti-Dorf“ auf dem Rummel-Gelände lebten und in ihren Alltagsverrichtungen bestaunt werden konnten. Exotik war die Losung der Stunde. Die Welt war fern, also wurde sie hergeholt in den Prater. Wer wollte, konnte sich in einer Gondel durch „Venedig“ schippern lassen oder andere Gegenden der Welt bereisen.
 

Die Menschen zu erstaunen – das ist das Kerngeschäft des Praters. Daran hat sich im Laufe der Geschichte des Vergnügungsparks nichts geändert, auch wenn heutzutage die Besucher  den Nervenkitzel nicht mehr vornehmlich durchs Zuschauen erleben, sondern selbst im Zentrum stehen – als Fahrgäste von immer halsbrecherischen Karussells, die sie in schwindelnde Höhen treiben und durch die Gegend schleudern. Man staunt nicht mehr über stolze Beduinen, sondern über sich selbst. Exotisch ist nur noch das Publikum. Inder zum Beispiel, die Zuckerwatte essen und Geisterbahn fahren. Ihre Vorfahren wären vielleicht noch im Prater ausgestellt worden.

Ottinger nimmt in ihrem Film den Rhythmus auf, den jeder Rummel-Besucher erlebt. Immer dreht sich was in den Bildern, immer glitzert es, immer fordert eine Fratze oder ein Schaukelpferdchen Aufmerksamkeit. So kann man sich verlieren in Geschichten, Fantasien und Aufgeregtheiten, die nur ein Rummelplatz bietet. Wobei unausgesprochen der Gedanke mitschwingt, dass früher alles besser war, als Ryanair einen noch nicht für fünf Euro ins echte Venedig flog, um ein wenig in den Kanälen herumzugondeln.

Neben dem dokumentarischen Material hat Ottinger Spielszenen in den Film eingearbeitet. Mit Elfriede Jelinek zum Beispiel, der sie durch frühere Projekte verbunden ist. Die alte Misanthropin ist erstaunlich gut gelaunt. Sie musste, erzählt sie, „gleichsam am Schnürl wieder zurückgeholt werden“ vom Prater. Das ist amüsant, doch im Bemühen, der Sache analytisch auf den Grund zu gehen, fehlt es Ottinger gelegentlich an Leichtigkeit. Wenn der Prater eine Illusionsmaschine wie das Kino ist, hätten zum Beispiel ein paar Filmzitate und das Spiel mit ihnen nicht geschadet. „Der dritte Mann“ etwa ist ja ohne das Riesenrad gar nicht denkbar. Bei Ottinger dreht es sich nur am Rande.

Volker Mazassek