Drei Frauen – drei große Sängerinnen und ihr Leben für die Kunst: Angel Blue ist eine gefeierte Sopranistin, Valerie Eickhoff steht am Beginn ihrer Karriere als Mezzosopran, und Renata Scotto gilt als eine der ganz großen italienischen Opernsängerinnen.
Die junge deutsche Regisseurin Juliane Sauter erzählt in ihrem sehr sehenswerten Dokumentarfilm die spannende und bewegende Geschichte dieser drei Frauen, die von der Leidenschaft für die Musik und für die Oper handelt, von Ehrgeiz, Wünschen, Ängsten und Selbstzweifeln und davon, was es bedeutet, einen Traum zu leben. Nicht nur für Opernfans ein wunderbarer, liebevoller und beinahe poetischer Film, der sich nebenbei ganz unauffällig, aber umso wirkungsvoller mit den Fragen der menschlichen Existenz beschäftigt.
Über den Film
Originaltitel
Primadonna Or Nothing
Deutscher Titel
Primadonna Or Nothing
Produktionsland
DEU
Filmdauer
93 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Sauter, Juliane
Verleih
Camino Filmverleih GmbH
Starttermin
07.08.2025
Valerie bereitet sich auf einen Gesangswettbewerb vor, Angel ist gerade in Paris angekommen, und Renata Scotto erinnert sich daran, dass sie schon überall gesungen hat. Drei Sängerinnen – drei Karrieren und drei Generationen, wobei Valerie und Angel altersmäßig gar nicht so weit auseinanderliegen; es ist ihr Status, der sie unterscheidet. Valerie ist die Anfängerin, sie hat in Düsseldorf Gesang studiert und stand schon mit 20 Jahren auf der Opernbühne. Der Gesangswettbewerb – er findet in Montréal/Kanada statt – bedeutet für sie eine große Chance: Aufmerksamkeit zu erregen, bekannt zu werden, Engagements zu bekommen. All das hat Angel schon erreicht. Sie ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und reist durch die ganze Welt, von einem Opernhaus zum nächsten, umlagert von Fans und Autogrammjägern. Renata Scotto hingegen hat ihre Bühnenkarriere schon vor mehr als 20 Jahren beendet. Mit ihren 88 Jahren ist sie eine Ikone der europäischen Opernszene und in ihrer Heimatstadt Savona noch immer eine Berühmtheit, von allen geliebt und verehrt. Sie spricht gar nicht so gern über die Vergangenheit, aber ein bisschen Rührung ist vielleicht doch dabei, wenn sie in der Oper sitzt und die Arien hört, die sie selbst vor vielen Jahren interpretiert hat.
Juliane Sauter begleitet die drei Frauen durch ihren Alltag und lässt sie erzählen. Das ist so ungefähr der Inhalt, aber das Ergebnis ist spannend, ergreifend und hoch interessant. Dabei gelingt der jungen Regisseurin das Kunststück, mit filmischen Mitteln eine authentische Atmosphäre zu erzeugen, die sich aufs Publikum überträgt, wie bei der Vorbereitung auf den Auftritt, wenn die Nerven bis zum Zerreißen angespannt sind. Juliane Sauter arbeitet oft mit Bildern, bei denen sie die Gesichter der Frauen beim Singen zeigt, ohne dass ihre Stimmen zu hören sind. Das ist ein gelungener Kunstgriff, mit dem sie sich der Persönlichkeit der Frauen nähert. Sie bebildert nicht die Töne, es geht ja eigentlich auch nicht um den Gesang und um typische Künstlerporträts, sondern es geht um Kunst allgemein, um die Sehnsucht des Menschen, etwas Bleibendes zu erschaffen, um den Traum von Vollendung und Perfektion und damit auch um die allgemeine Sinnsuche, allerdings in einer leichten Form und ganz und gar nicht theatralisch. Dass Juliane Sauter viel Gespür für Kunst und Künstler – und natürlich auch für Künstlerinnen – mitbringt, ist in jeder Sekunde zu spüren. Mit ihr und dank ihrer Sensibilität werden die drei Frauen zu Persönlichkeiten, denen man gern zuhört.
Alle Drei sprechen offen und lebhaft über sich selbst und ihren Alltag und über die vielen Herausforderungen, mit denen sie kämpfen oder kämpfen mussten … und an die sie sich gewöhnt haben. Der Blick hinter die Kulissen der Opernhäuser, in die langen Garderobengänge und auf die Hinterbühne gehört dazu, das Leben aus dem Koffer, die Gespräche mit Fans, ab und an ein wenig Privatleben. Je länger der Film dauert, desto liebenswerter werden die Sängerinnen: Angel mit ihrer Klugheit, ihrem Temperament und ihrem bezaubernden Lachen, die eher ruhige Valerie in ihrem ausgeprägten Selbstvertrauen, das manchmal doch erschüttert wird, und Renata mit ihrem Humor und ihrer Altersweisheit. Der Bühnenauftritt in seinem Glanz stellt nur einen kleinen Teil ihres Lebens dar, aber um ihn kreist alles. Schon die junge Valerie hat sich den Herausforderungen nicht nur gestellt, sondern sie wusste von Anfang an, was auf sie zukommt. Opernsängerin zu werden, so ist zu erfahren, ist eine aktive Entscheidung für ein ganzes Leben, und nicht nur das: Alle wollen nach ganz oben. Der Filmtitel spiegelt diesen Anspruch perfekt, und Renata sagt in ihrer humorvollen Art: „Wenn du Sängerin werden willst, musst du bereit sein, alles zu geben. Andernfalls: Spar dir die Arbeit.“
„Niemand wartet auf dich“, sagt Valerie. Das ist Künstlerlos: Niemals geht es um den Menschen, es geht immer um die Kunst, im Falle der Sängerinnen um ihre Stimme und um die Bühnenpräsenz oder, was besonders Angel manchmal ärgert, um die Kostüme, die sie trägt. Da wird dann das Kleid wichtiger als ihre künstlerische Leistung, ein Problem, das auch viele andere Künstler kennen. Aber trotz aller Schattenseiten gibt es für die drei Sängerinnen keine Alternative. Sie geben sich ihrer Kunst hin. Sie leben ihren Traum – bis zum Ende. Renata Scotto starb während der Dreharbeiten. Ihr ist dieser Dokumentarfilm gewidmet, der oftmals anrührender und spannender ist als viele Spielfilme.
Gaby Sikorski